ELLI BAUER
Am Weg (auf der Strecke bleiben)
Was man als Kabarettistin alles doch nicht allein macht oder: Wie wird man Kabarettistin? Ungefähr so:
Das Beste am Solokünstlerin-Sein ist, dass man alles selbst entscheiden kann. Das Schwierigste am Solokünstlerin-Sein ist, dass man alles allein entscheiden muss. Dieser Eindruck entsteht vor allem zu Beginn, wenn man den Entschluss fasst, den Weg als Solo-Kabarettistin einzuschlagen. Am Anfang sitzt man vor dem Laptop, erstellt Social-Media-Profile, kreiert eine Homepage und googelt abwechselnd „Kabarett open stage“, „Kabarettwettbewerb“, „Newcomer-Talente-Show“ oder einfach nur „bin ich lustig?“. Man kontaktiert dann entweder über Social-Media oder einfach per Mail diverse VeranstalterInnen, die Auftrittsmöglichkeiten für diejenigen anbieten, die noch nie aufgetreten sind. Oft werden diese sogenannten „Open Stages“ oder „Mixed Shows“ von jungen Kabarett-KollegInnen selbst organisiert. Das ist die Phase, wo man „guade 20 Minuten“ Programm hat und sich die Länge des zusammengestellten Materials meist mit den Anforderungen der einzelnen Auftritte erst auf eine abendfüllende Länge ausdehnt. Die ersten direkten Kontakte innerhalb der Szene werden vor allem hier, aber auch bei den zuvor ergoogelten Wettbewerben geknüpft. Ich hatte besonderes Glück: Nach meinem Auftritt beim Wettbewerb „Salzburger Sprössling“ stellte sich ein gewisser Wolfgang Pfeiffer bei mir vor und fragte, ob ich denn bereits bei einer Agentur wäre und wenn nicht, ob ich Interesse hätte. Ha! Ob ich Interesse hätte. Kann Hansi Hinterseer twisten auf den Pisten? Trägt der Papst einen kleinen weißen Hut? Ein paar Wochen später war ich dann offiziell Künstlerin der Agentur „vermutlich Elke“.
„Wir bräuchten dann Pressefotos, Pressetext, Flyer und Plakate“, meinte Wolfgang in einem unserer ersten Telefonate. „Aha!“, schien mir eine adäquate Antwort zu sein. Dass man all diese Dinge braucht bevor man Auftritte bucht, ist natürlich komplett logisch, hatte ich zu diesem Zeitpunkt aber nicht so richtig durchdacht. So selbstdarstellend wir BühnenkünstlerInnen auch sein mögen, so unsicher können wir auch werden, wenn es darum geht, uns selbst zu vermarkten und in einem Pressetext anzugeben, warum man genau unser Programm unbedingt gesehen haben muss. Aber gut, alles ist im Endeffekt Übungssache – also bekommt man die Pressetexte in drei verschiedenen Längen schon hin, vor allem, wenn man zufällig Menschen in seiner Umgebung hat, die gerne und gut schreiben. Für Fotos, Flyer und Plakate braucht man ebenfalls Sujets, die für das potenzielle Publikum auf einen Blick zusammenfassen, was man von diesem Programm erwarten kann. Auch hier wendet man sich gerne an jemanden aus dem Freundeskreis, der/die FotografIn ist, denn für professionelle Fotos braucht man auch professionelles Equipment und Knowhow. Aber ein schönes Foto und ein guter Pressetext machen noch keinen Flyer und noch kein Plakat. Wenn man sich lange mit kreativen Menschen umgeben hat, findet man glücklicherweise meist auch GrafikerInnen im Freundeskreis, die dann gekonnt die erwähnten Elemente zusammenfügen. „Am Plakat muss unten ein breiter leerer Streifen bleiben“, meinte Wolfgang. „Aha!“, sagte ich wieder wortgewandt. Hierbei geht es darum, einen Bereich für die VeranstalterIn freizulassen, wo sie Datum, Uhrzeit und Ort selbst anheften können. Wieder völlig logisch, wenn man’s weiß.
Über die Agentur werden dann also Termine für mich gebucht, die VeranstalterIn zeitnah mit Plakaten und Flyern versorgt und danach geht’s zu den Auftritten selbst. Desto länger man dabeibleibt, desto mehr kommt man in Österreich und manchmal sogar in Deutschland und der Schweiz herum. Ich habe meinen Lebensmittelpunkt im mediterranen Graz (so nennen es Leute aus Linz) und bin passionierte Zugfahrerin. Verschiedene Zugteams in diversen Zug-Modellen der ÖBB sind mittlerweile fixer Bestandteil meiner Arbeit, da sie mich bisher zwar nicht immer mit funktionierenden Steckdosen oder Toiletten, dafür aber immer pünktlich, hin – und wieder nachhause gebracht haben. „Bis Kirchdorf an der Krems hält dieser Zug in jeder Station.“ Ein ungebrochenes Versprechen.
Wenn ich beim Veranstaltungslokal ankomme, empfängt mich meistens der/die TechnikerIn des Abends, um mit mir den Soundcheck durchzuführen. Nachdem ich mittlerweile sehr viele Soundchecks absolviert habe, kann ich die Fragen: „Brauchst du an Monitor?“, „Bist du auf mute?“ und „Was hast du da für a Gitarr?“ sogar beantworten. An dieser Stelle sei erwähnt, dass jegliche Veranstaltungen, aber vor allem Musikveranstaltungen, mit erfahrenen, talentierten TontechnikerInnen erst zu dem werden, was man im Publikum erlebt. Wenn man (irgendwann wieder) glücklich von einer Veranstaltung nachhause spaziert, sollte man nicht nur den KünstlerInnen auf der Bühne, sondern auch jenen hinter dem Mischpult danken.
Es ist von Lokalität zu Lokalität verschieden, wie viele Leute an der sogenannten „Künstlerbetreuung“ beteiligt sind. Manchmal sind VeranstalterIn, TechnikerIn und BarbetreiberIn in einer einzigen Person vereint, manchmal ist es ein mehrköpfiges Team. In jedem Fall steht hier immer kollegiale Zusammenarbeit im Fokus: Die Künstlerbetreuung kommt meistens vor Beginn der Veranstaltung Backstage, um den Auftretenden mitzuteilen, dass es gleich los geht. Manchmal trinken Betreuungsteam und KünstlerInnen sogar im Sinne des „Hausbrauchs“ noch ein Stamperl und prosten auf eine gelingende Veranstaltung an. Danach wartet man als KünstlerIn auf das Lichtsignal des Technikers/der Technikerin, welches oft als Startschuss für den Auftritt gilt. Desto mehr man spielt, desto mehr Leute lernt man aus der Branche kennen. Spätestens hier legt man als KünstlerIn das Gefühl, alles alleine machen zu müssen, oder überhaupt zu können, komplett ab.
Wenn man eine Zeitlang abendfüllend gespielt und sich daran gewöhnt hat, Flyer aufzulegen, wo einem das eigene Gesicht entgegen schaut, kommen einem zusätzliche Ideen, wie man den Leuten eventuell im Gedächtnis bleiben könnte. „Möatsch“, kurz für Merchandise, ist wieder ein Gebiet, wo man neue Arten der eigenen Kreativität aktivieren muss. Ich habe mich bei meinem derzeitigen Programm für Sticker, Postkarten und Stofftragetaschen entschieden, deren Entstehung wieder nur mit tatkräftiger Unterstützung einer befreundeten Grafikerin gewährleistet war. Da es in meinem Programm viele Lieder zu hören gibt, habe ich mich zusätzlich dazu entschieden, einen Live-Mitschnitt meines Programms auf CD pressen zu lassen. Hierfür braucht man zunächst eine Person aus dem Feld der Tontechnik, die das Knowhow und Equipment mitbringt, um einen Live-Auftritt so aufzunehmen, dass er danach CD-tauglich ist. Man selbst braucht gute Nerven, da es am Abend der Aufnahme von Vorteil ist, die bestmögliche Variante des Programms möglichst fehlerfrei darzubieten. Aber mit der Aufnahme allein ist es natürlich nicht getan, denn dann kommt noch das Schneiden, Mischen und Mastern im Tonstudio dazu. Hier kommen die Beruhigungsstrategien der eigenen Nerven wieder zum Einsatz, wie sich jedeR vorstellen kann, der/die schon mal eine Ton- oder Videoaufnahme von sich selbst verwerten musste. Auch bei einer CD-Produktion dürfen die GrafikerInnen nicht fehlen, da ja auch die CD-Hülle, die CD und etwaige Booklets designt werden müssen. Wie sehr man für Werbematerial in die Tasche greift und wie viele KollegInnen man tatsächlich für ihre Arbeit gerecht entlohnen kann, hängt stark davon ab, wie weit man in der eigenen Karriere bereits fortgeschritten ist. Auch wenn viele NewcomerInnen so viel sie können selbst oder mit FreundInnen machen, so bleibt die Tatsache, dass die Expertise dieser Bereiche fixer Bestandteil unserer Arbeit als BühnenkünstlerInnen ist, unverändert. Wie auch die Tatsache, dass sich die Frage, ob man auf Social-Media vertreten sein will, nicht stellt, sondern nur, mit wie vielen Plattformen man gleichzeitig jonglieren kann. Denn wer bei Social-Media-Diensten nicht auffindbar ist, existiert nicht.
Nach über zwei Jahren als Solo-Kabarettistin (inklusive Pandemie) lässt sich eins ganz klar sagen: Obwohl ich noch unbekannt bin, hängt bereits eine relative große Gruppe an Menschen an meinen Auftritten dran. Wenn also alle Veranstaltungen abgesagt werden, dann betrifft das nicht nur mich und meine Agentur, sondern mindestens auch FotografInnen, GrafikerInnen, Veranstaltungslokale, TontechnikerInnen und in manchen Fällen sogar TonstudiobetreiberInnen. Auch Übernachtungen nach meinen Auftritten sowie Zugtickets bleiben im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke. Aber solange ich noch am Weg bleibe, kann zumindest eine Person weiterhin auf meine Aufträge zählen: meine Steuerberaterin.
© Elli Bauer, Am Weg (Auf der Strecke) bleiben. Was man als Kabarettistin
alles doch nicht allein macht oder: Wie wird man Kabarettistin?
In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2021.
Foto: © Sabine Lehner
Elli Bauer (* 1987 in Graz) ist Musikkabarettistin (aktuelles Programm: „Stoffsackerlspruch“). Sie wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter die „Ennser Kleinkunstkartoffel“ (2018) und der „Freistädter Frischling“ (2018, Jury und Publikum). Nominiert war sie u.a. für die „Freiburger Leiter“ im Bereich „Darstellende Kunst“ (2020). Im ORF war Elli Bauer bei den „Pratersternen“ und fragestellend bei „Was gibt es Neues?“ zu sehen, ihre erste CD „Stoffsackerlspruch – Live“ ist 2020 erschienen. Im Dokumentarfilm „Im Jakotop“, der gerade fertiggestellt wird, führte sie als Darstellerin durch ihren Heimatbezirk Jakomini. Momentan versucht sie außerdem Donkey Kong Country 2 durchzuspielen.
Veröffentlicht am: 4. Juni 2021