MARION DIMALI
Arbeiten mit Kabarettisten und Kabarettistinnen
Gibt es da Unterschiede und wenn ja, woran liegt das? Daran, dass sich die Zusammenarbeit mit Männern und Frauen eben unterscheidet, weil Männer und Frauen nun mal einfach anders sind? Daran, dass Männer und Frauen sich unterschiedlich gerne von einer Regisseurin, also einer Frau was „anschaffen“ lassen? Wäre alles möglich, ist aber nicht zwingend etwas, das sich in meinem Job stark bemerkbar machen würde.
Aber fangen wir von vorne an.
Wenn ein Kabarettist oder eine Kabarettistin sich dazu entscheidet, mit mir als Regisseurin zusammenarbeiten zu wollen, dann tun sie das freiwillig. Im Gegensatz zum normalen Theaterbetrieb, wo Ensembles oder Solokünstler*innen sich ihre Regisseur*innen höchst selten aussuchen können, sondern sie quasi von der Theaterleitung vorgesetzt bekommen, entscheiden Kabarettist*innen ganz und gar eigenständig, ob sie überhaupt mit Regisseur*innen zusammenarbeiten wollen und wenn ja, mit wem. Sie sind es auch, die ihre*n Regisseur*innen aus eigener Tasche bezahlen.
Daraus lässt sich ableiten, dass ein Wille zur sinnstiftenden und kollegialen Zusammenarbeit von vornherein gegeben ist. Alles andere wäre irgendwie tragisch. Aber deshalb nicht zwingend unmöglich, weil sich oft ja erst während intensiver Arbeit zeigt, ob die Chemie wirklich stimmt. Aber so wirklich absichtlich wird sich wohl niemand jemanden hereinholen, für die erbrachte Leistung bezahlen und dann auf dem Standpunkt „Du hast mir gar nix zu sagen!“ verharren.
Sollte sowas trotzdem kurz mal aufflammen, denn nicht alles ist immer nur angenehm, was man von Regisseur*innen zu hören bekommt, und da ist dann Widerstand oder auch Ablehnung durchaus möglich, dann weiß ich schon pointiert darauf hinzuweisen, wie absurd die Situation gerade ist.
Vielleicht sollte ich auch noch erwähnen, dass ich persönlich nicht hintanstehe, vor dem Beginn der gemeinsamen Arbeit detailliert darauf hinzuweisen, was bei einer Zusammenarbeit mit mir zu erwarten ist. Denn ich halte nichts davon, dass jemand sozusagen die Katze im Sack kauft. Das würde auch das Ergebnis, nämlich ein qualitativ gutes und unterhaltsames Kabarettprogramm auf die Bühne zu bringen, eher torpedieren als fördern.
Das bedeutet also, ich befinde mich, was mögliche übliche Frau/Mann-Spielchen im Berufsleben angeht, in einer durchaus privilegierten Situation. Und ich weiß das auch zu schätzen.
Aber trotzdem: Gibt es jetzt Unterschiede in der Arbeit mit Kabarettistinnen und Kabarettisten?
Ja, natürlich. Weil es nun einmal Unterschiede in der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Menschen gibt. Noch viel mehr, wenn es eine Arbeit ist, die so grundlegend die jeweilige Person im Zentrum hat und ihre Stärken wie Schwächen nahezu jede Minute offenlegt, was ja auch bis zu einem gewissen Grad gewünscht ist.
Damit verantwortungsvoll umzugehen, keine Psychospielchen zu spielen und immer für alle Beteiligten das Vergnügen an der Arbeit hochzuhalten, auch wenn es manchmal gerade nicht im Vordergrund stehen kann, ist mir persönlich ein großes Anliegen. Denn, wie ich immer zu sagen pflege: „Grantig und frustriert sein, kann ich in jedem ganz normalen Bürojob auch, dazu muss ich mir keinen Bühnenberuf samt den sowieso vorhandenen Entbehrungen suchen.“ Ja, ich kann sehr bestechend sein in meiner Argumentation.
Wie aber unterscheidet sich die Arbeit mit Männern und Frauen? Naja, Frauen fragen mich bei bestimmten Themen, die sie auf der Bühne behandeln wollen, zum Beispiel eher selten nach meiner Sicht „als Frau“. Dafür gehen Frauen nicht davon aus, dass wir, nur weil wir beide Frauen sind, die gleiche Sicht auf diverse Themen hätten. Ein eher männliches Missverständnis.
Was für eine sexistische Verallgemeinerung, denken Sie jetzt? Ja, stimmt.
Und Sie werden lachen, das Wissen um die „Richtigkeit“ derartiger Verallgemeinerungen, das Kennen von und das Beherrschen des Spiels mit Clichés gehört zu meinem wichtigsten Handwerkszeug.
Hier landen wir nämlich bei den echten Unterschieden in meiner Arbeit mit Kabarettistinnen und Kabarettisten.
„Männer dürfen alles!“ Falsch? Richtig? Beides.
Männer dürfen auf der Bühne tatsächlich viel mehr als Frauen, um die Lacher auf ihrer Seite zu haben. Und darum geht es nun einmal im Kabarett wie auch in der Comedy. Die Lacher. Das intelligenteste, kritischste und beste Kabarettprogramm ist nichts wert, wenn es nichts dabei zu lachen gibt. Und da ist es gleichgültig, ob es sich um fröhliches Lachen, unterdrücktes Lachen, peinlich berührtes Lachen, befreites Lachen, höhnisches Lachen, schadenfrohes Lachen oder sogar entsetztes Lachen handelt.
Egal um welche Pointe es geht, um welche Grundhaltung oder welche Bühnenfigur, ich muss immer im Blick behalten, steht hier ein Mann auf der Bühne oder eine Frau, ist es also eine Kabarettistin, die das sagt oder ein Kabarettist.
Aufs Simpelste runter gebrochen bedeutet das: Wenn ein Kabarettist auf der Bühne eine Frau spielt, ist es völlig egal, wie gut oder wie schlecht er das tut, die Mehrheit des Publikums wird sich einfach schon aufgrund der Tatsache, dass er das tut, „zerkugeln“. Wenn eine Kabarettistin auf der Bühne einen Mann spielt, muss sie das wirklich bestechend gut tun, sonst läuft sie schnell Gefahr, dass gar nicht wenige Leute im Publikum das zwar lächerlich finden, aber eben nicht lustig ... Ehrlich? Ehrlich.
Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass eine möglichst hohe Anzahl an Menschen im Publikum sich gut unterhält, also so viel Leute wie nur möglich bei ein und demselben Scherz lachen können.
Das bedeutet, ich muss einschätzen können, welches Publikum in etwa das Stammpublikum der jeweiligen Kabarettist*innen ausmacht und worüber sie werden lachen können, obwohl es von einer Frau oder einem Mann gesagt wird. Ja, auch obwohl es von einem Mann gesagt wird. Denn das Gute ist, die Zeiten ändern sich. Und zunehmend öfter gereicht es einem Kabarettisten auch in Österreich nicht mehr zur Ehre, wenn er undifferenzierte Witzchen über Frauen macht.
Aber auch auf der anderen Seite schlägt das Pendel jetzt in die andere Richtung aus. So sehr, man(n) sich bis vor nicht allzu langer Zeit allerorts über „Frauenkabarett“ erregen konnte und sich über die „frustrierten Weiber“, die da wahrscheinlich auf der Bühne stehen, ungehindert das Maul zerreißen durfte, freut sich heute das weibliche Publikum darüber, „seine Sicht der Dinge“ auf der Bühne präsentiert zu bekommen.
Und jetzt kommt der komplizierte Teil.
Obwohl in der Mehrheit Frauen ins Kabarett gehen, muss peinlich darauf geachtet werden, dass Männer gut mitlachen können. Denn ein einmal verprellter männlicher Kabarettbesucher geht so schnell in kein „Frauenkabarett“ mehr. Bedeutet, seine Partnerin muss ab jetzt, wenn sie das wirklich will, alleine oder mit Freundinnen gehen. Sie sehen die Problematik? Im Gegensatz dazu gehen Frauen weiterhin ins Kabarett, auch wenn sie von der Bühne aus Ziel von Scherzchen sind oder gar lächerlich gemacht werden. Sie können da meist sogar mitlachen. Weil Frauen mehr Humor haben als Männer? Das bezweifle ich, Humor ist sicherlich in beiden Geschlechtern gleich stark angelegt. Allerdings sind es Frauen seit jeher eher gewöhnt, dass man(n) über sie auf den Bühnen dieser Welt witzelt. Männer müssen sich erst daran gewöhnen und einen Umgang damit erlernen. Woran kann das liegen? Wahrscheinlich wohl daran, dass auch erst nach und nach Frauen die Kabarettbühnen erobern und so das weibliche wie auch das männliche Publikum mit dem männlichen Narrativ, der anstrengenden, seltsamen, immer unzufriedenen, nörgelnden Frau im Gegensatz zum immer gut für sie sorgenden, den bösen, bösen Arbeitsalltag von ihnen fernhaltenden Familienerhaltermann, aufgewachsen ist und es über weite Strecken unhinterfragt als Quelle unzähliger Pointen akzeptiert hat. Während das weiblich Narrativ erst langsam Platz greift und sich Männer wie auch Frauen erst nach und nach gestatten müssen, das als lustig zu betrachten, vor allem aber als ebenso lustig wie das männliche Narrativ. Denn immer ist die Überzeichnung Mittel der kabarettistischen Darstellung und nicht einfach nur die realistische Darstellung, das kann dann mitunter wehtun.
Immer noch gibt es die Behauptung, Kabarettistinnen wären weniger lustig als Kabarettisten. Erstaunlich, nicht wahr? Gewisse Reflexe sind offenbar nicht tot zu kriegen. Frauen, die auf der Bühne ihre Scherze über Männer machen, wird leider immer noch gerne unterstellt, sie wären nur frustriert, ja wahrscheinlich sogar einfach sexuell unbefriedigt, sagen hauptsächlich Männer. Spannend dabei, dass man(n) die Schuld an diesem angeblichen sexuellen Unbefriedigt-Sein dabei bei den Frauen selbst, ganz im Allgemeinen und der jeweiligen Kabarettistin im Besonderen, verortet, so als wären diese ihre eigenen Sexualpartner.
Das alles hätte doch nichts mit Kabarett zu tun, meinen Sie? Und noch weniger mit dem Unterschied, wie man mit Kabarettistinnen und Kabarettisten arbeitet? Doch, gerade das hat grundlegend damit zu tun. Denn all das ist der Stoff, aus dem meine Arbeit gestrickt ist. Daraus ergibt sich nämlich, worauf ich bei Programmen von Männern und Programmen von Frauen achten muss, damit ihnen jeweils die meisten Leute im für sie anzunehmenden Publikum freudig folgen und sich einen Abend lang köstlich unterhalten können.
Wichtig ist es auch noch darauf hinzuweisen, dass vieles hier Gesagte zwar auch für Publikum in Deutschland und der Schweiz gilt, aber nicht ganz so deutlich, wie für das österreichische. Ein Grund dafür scheint zu sein, dass in Deutschland die Emanzipationsbewegung und die feministische Szene mit ihren Vorstellungen und Werten bei weitem stärker im Alltagsleben Einzug gehalten hat. Was möglicherweise auch der Grund dafür ist, dass sich Frauen dort auch verstärkt ins Genre des politischen Kabaretts begeben. Während hierzulande derzeit das politische Kabarett, egal ob männlich oder weiblich, gerade einen sehr sehr langen und tiefen Winterschlaf hält. Trotzdem, politische Analysefähigkeit scheint man in Österreich erstaunlicherweise immer noch eher als männliche Eigenschaft anzusehen. Es macht für meine Arbeit also durchaus auch einen Unterschied, ob die jeweiligen Kabarettist*innen hauptsächlich in Österreich oder auch in Deutschland und der Schweiz auftreten.
Es geht also, ob uns das gefällt oder nicht, um Clichés.
Besonders stark zeigt sich das dabei, wenn es auf der Kabarettbühne um Kinder geht. Eine wirklich gute Pointe lebt von der Überraschung. Das ist eine unter Kabarettist*innen und Komiker*innen altbekannte Binsenweisheit. Aber nicht jede Überraschung bringt einen Lacher. Oh nein, nicht alles, was unerwartet kommt, wird mit Gelächter honoriert. Denn manchmal wollen wir unser Weltbild einfach nicht zerstört bekommen, das rüttelte zu sehr an allem, was wir glauben wollen, als dass wir darüber lachen könnten.
Männer können über Kinder und das Kinderhaben wirklich sehr extreme und böse Scherze machen. Kommt ein und derselbe Scherz von einer Frau, breitet sich unangenehme Stille im Zuschauerraum aus. Frauen haben Kinder gefälligst zu lieben, sogar dann, wenn sie keine eigenen haben. Und die, die Mütter sind sowieso. Eine an sich harmlose Pointe über den entsetzlichen Gestank beim Wickeln, der alles überdeckt und jedes Mal wieder Übelkeit bereitet, von Kabarettisten auch 2020 immer noch gern gebracht, und sofort schwebt fröhliches Lachen durch den Raum; von einer Kabarettistin gebracht, schwebt sofort der Geruch, nein, nicht der vollen Windel, sondern der Rabenmutter durch den Raum ...
Das wirklich Erstaunliche dabei ist, das Verhältnis solcher Pointen zur Realität. Ich persönlich kenne zum Beispiel weitaus mehr Männer als Frauen, die ihre Kinder den ganzen Tag über deutlich häufiger lieben als hassen. Woran das liegen kann? Weil sie sie viel seltener sehen!? Ein Cliché. Ja natürlich, aber deshalb falsch?
Herumgeschimpfe, Kraftausdrücke, Flüche, drastische Schilderungen, zum richtigen Zeitpunkt gesetzt, führt bei Kabarettisten zu zustimmendem Gelächter, bei Kabarettistinnen zum richtigen Zeitpunkt gesetzt ... es gibt keinen richtigen Zeitpunkt. Nicht selten werden sie vom Publikum sogar extra nach den Vorstellungen angesprochen, nur um ihnen zu sagen, dass „derlei, wirklich nicht nötig“ ist.
Bedeutet das aber, dass Kabarettistinnen automatisch wirklich all das weglassen müssen? Nicht zwingend. Aber ihre so gearteten Pointen müssen viel besser gestrickt, genauer gebaut sein. Und die Bühnenfigur, bei der solche Pointen Lacher ernten, muss auch mit Bedacht gewählt sein.
Nicht jede Figur kann alles sagen. Ist ebenso eine kabarettistische Binsenweisheit. Bei Kabarettistinnen kriegt diese Binsenweisheit aber eben eine noch weitaus einschränkendere Bedeutung, die ausschließlich damit zu tun hat, dass sie Frauen sind und unsere österreichische Gesellschaft sogar von denen, die ihr den Spiegel vorhalten sollten, erwartet, dass sie das auf die gesellschaftlich anerkannte und angepasste Weise tun.
Das macht tatsächlich den größten Unterschied bei meiner Arbeit mit Kabarettistinnen und Kabarettisten aus.
Ach ja, und die kleine Tatsache, dass Frauen in der Arbeit deutlich selbstkritischer sind und sich und ihr Tun nahezu jede Minute hinterfragen. Während Männer mit größerer Selbstüberzeugung ans Werk gehen.
Ein Cliché? Nein, eine Binsenweisheit.
© Marion Dimali, Arbeiten mit Kabarettisten und Kabarettistinnen.
In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2021.
Marion Dimali (* 1963 in Klagenfurt) ist Regisseurin, Schauspielerin, Sängerin, Autorin und Moderatorin.
Ausbildung im Klassischen Sologesang, Musicalausbildung, Ausbildung im „Musikalischen Unterhaltungstheater“ und im Bereich Fernsehproduktion und Regie.
Marion Dimali war u. a. 1985–1986 Ensemblemitglied des Kabarett Simpl, 1986–1993 Schauspielerin, Regisseurin und in der künstlerischen Leitung des Graumann Theater (Wien) und unterrichtete selbst Dramatik, Schauspiel und Atemtechnik.
Als Kabarettregisseurin arbeitete sie u. a. mit Nadja Maleh, Michael Schuller, Stefan Haider, Ludwig Wolfgang Müller, Helfried (Christian Hölbling), Christoph Fälbl, Andreas Ferner, Verena Scheitz, Adriana Zartl, Miriam Hie und den Kernölamazonen.
Veröffentlicht am: 15. Jänner 2021