MICHAEL EIBL

 

Der Freistädter Frischling

 

„Um NachwuchskünstlerInnen mehr Raum und Aufmerksamkeit in unserem Programm zu geben, haben wir im Frühjahr 1995 die Reihe ‚FRISCHLING‘ ins Leben gerufen.“
Mit diesem Eingangsstatement wurden die Werbetexte zum Freistädter Kabarett- und Kleinkunstpreis jahrelang eingeleitet.

Seit 1984 ist die ‚Local-Bühne‘ kulturelle Nahversorgerin in der Kleinstadt Freistadt im nordöstlichen Mühlviertel – und Kabarett ist, wie bei so vielen Kulturvereinen, ebenso lange ein wichtiges Standbein der Veranstaltungstätigkeit. Neben den vielen größeren und kleineren Stars der österreichischen Kabarettszene, die verlässlich Publikum anziehen, noch Platz im Programm für jene Acts zu finden, die in der Region noch unbekannt sind und die am Start ihrer Karriere stehen, ist eine Herausforderung, auf die der ‚Frischling‘ eine Antwort ist. Das war bei der Gründung dieses Kabarettpreises Mitte der 1990er-Jahre so und gilt heute verstärkt. Auch wenn viele junge Künstler*innen abseits der Bühnen via Social Media ihr Publikum finden, ist der Schritt vor Livepublikum dennoch unerlässlich für aufstrebende Kabarettist*innen und Comedians.

Das „Kleinkunstfestival“ an zwei Abenden, jedes Jahr Anfang März, gibt also „neuen“ Künstler*innen oder Gruppen Gelegenheit, in Freistadt vor einem interessierten Publikum aufzutreten. Die Voraussetzungen sind einfach: erstes oder zweites Programm, noch unbekannt in der Region, eine Stunde auf der Bühne.

Letzteres ist wohl das Hauptmerkmal, das den ‚Frischling‘ von vielen anderen Nachwuchs-Kabarettpreisen unterscheidet: 10 Minuten unterhalten kann jede*r, aber eine Stunde vor Publikum auf der Bühne zu stehen, ist eine Hürde, an der viele Neulinge ohne Bühnenerfahrung scheitern. Die Notwendigkeit, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Gelächter zu provozieren, entfällt dadurch aber und schafft stattdessen Raum, eine Beziehung zum Publikum aufzubauen, Spannungsbögen und Geschichten zu entwickeln.

 

Backstage

Die ‚Frischlings‘-Saison startet jedes Jahr im Dezember mit dem Sichten der eingegangenen Bewerbungen, die aussagekräftiges Videomaterial sowie ein paar Worte zu Biografie und Programm enthalten sollen. Diese Unterlagen sind sehr unterschiedlich – vom im Wohnzimmer vor der Blumentapete aufgenommenen verpixelten Heimvideo über mehrseitige Konzepttexte bis zum professionellen Angebot von Agenturen reicht die Bandbreite. Gesichtet und ausgewählt wird von einem Team, das sich aus interessierten ehrenamtlichen Kolleg*innen der ‚Local-Bühne‘ zusammensetzt, von denen einige inzwischen hauptberuflich im Kabarett-Veranstaltungsbereich tätig sind.
Zusätzlich werden auch gezielt Künstler*innen angeschrieben und zum ‚Frischling‘ eingeladen. Wir verfolgen das ganze Jahr über, was sich auf Österreichs (und in kleinerem Ausmaß auch auf deutschen und schweizer) Kleinkunstbühnen tut und welche neuen Namen in Medien auftauchen. Die kundigen Kolleg*innen, die im Kabarettbetrieb außerhalb des Mühlviertels arbeiten, helfen mit ihren Erfahrungen bei der Suche und Einordnung.

Eine Folge dieses Auswahlverfahrens ist, dass die Bandbreite dessen, was beim ‚Frischling‘ zu sehen ist, im Idealfall auch die Breite des künstlerischen Schaffens im Kleinkunstbereich widerspiegelt – von klassischen, sozialkritischen Erzählungen über Musikkabarett bis hin zu Stand-Up. Auch thematisch kann das Publikum gefordert werden – gerade urbane, migrantische Lebensrealitäten sind in einer zutiefst ländlich geprägten Region wie dem Mühlviertel dem Publikum oft fremd.

Am Ende des ersten Auswahlprozesses steht eine Liste von rund zwanzig Namen, die schließlich auf vier Kandidat*innen oder Gruppen reduziert werden muss. Bei einer gemeinsamen Sitzung kristallisieren sich dann die Favorit*innen heraus. Falls kein Konsens gefunden wird, erfolgt eine Reihung mittels Punktesystem, in welcher Folge die Künstler*innen kontaktiert und angefragt werden.

Wichtiger Aspekt dabei ist das Bemühen um das Einhalten einer 50%igen Frauenquote, die sich auch in der ausgewogenen Verteilung der Preisträger*innen der letzten 15 Jahre wiederspiegelt, während der ‚Frischling‘ in seinen ersten zehn Jahren deutlich männerlastig war.

Die Einladung an die vier Acts, die dann letztendlich in Freistadt auf der Bühne stehen, inkludiert – und das unterscheidet den ‚Frischling‘ von den meisten anderen Kabarett-Wettbewerben – Gage für den Auftritt, die Übernahme von Reise- und Hotelkosten sowie gutes Catering backstage. Daneben stellen wir eine professionelle Ton- und Lichttechnik. Das alles ist für uns selbstverständlich für eine Veranstaltung, bei der auch Eintritt vom Publikum verlangt wird und die den Anspruch hat, Künstler*innen zu fördern.

 

Auszeichnungen

Auszeichnungen werden in zwei Kategorien vergeben: Publikumspreis und Jurypreis. Das Publikum bewertet die Auftritte nach dem Schulnotensystem – jener Act mit dem besten Notenschnitt gewinnt. Da das Publikum am Freitag und Samstag nicht identisch ist und meist am Samstag auch mehr Publikum als am Freitag kommt, hat sich diese Vorgangsweise  seit Jahren als die fairste Art der Gewinner*innenermittlung bewährt.

Der Jurypreis ist ein von der Arbeiterkammer Kultur Oberösterreich, die seit den ersten Jahren Partnerin des ‚Frischlings‘ ist, organisierter und finanzierter Auftritt in Linz. Die sechsköpfige Jury, die den Jurypreis vergibt, setzt sich wiederum aus interessierten Kabarettbesucher*innen zusammen. Wichtig ist dabei die Ausgewogenheit sowohl im  Geschlechterverhältnis als auch in der Altersstruktur. Gerade die jüngeren Jurymitglieder bringen oft einen frischen Blick und auch andere, durch Internet, YouTube und Social Media geprägte, Sehgewohnheiten in die Bewertung ein, als ein älteres „klassisches“ Kabarettpublikum.

Der ‚Frischling‘, ein kleines silbernes Ferkel in Form des Frischlings-Logos, wird an beide Gewinner*innen verliehen.

In den ersten Jahren fand die Preisverleihung noch an einem eigenen Termin im Herbst statt, wo der/die Preisträger*in sein/ihr Programm noch einmal spielte. In der Regel interessanter, als das Siegerprogramm in so kurzer Zeit noch einmal auf den Spielplan zu nehmen, sind aber die Folgeprogramme der Nachwuchskünstler*innen – und so versuchen wir mit den ‚Frischlingen‘ in Kontakt zu bleiben. Einige der Ausgezeichneten sind zu regelmäßigen Gästen auf der ‚Local-Bühne‘ geworden: Mit Gunkl, dem ersten Frischlingsgewinner 1995, verbindet uns eine bald drei Jahrzehnte dauernde, mit jedem neuen Programm regelmäßig gepflegte, Beziehung. Die prominenteren Gewinner*innen der letzten 10 Jahre, wie etwa Paul Pizzera, Lisa Eckhart oder Martin Frank, füllen inzwischen problemlos Säle und Hallen – mitunter auch in Freistadt.

 

Publikumsnähe

Ein roter Faden, der sich durch die Veranstaltungen zieht, ist die Nähe zum Publikum – das ist einerseits dem Kleinstadtleben in der Provinz geschuldet, in der man als Veranstalter*in das (Stamm‑)Publikum kennt, andererseits aber auch der Tatsache, dass von der Auswahl der vier Auftritte bis hin zur Jury und dem gemeinsamen Feiern nach der Preisverleihung die Kabarettgeher*innen ganz nah am ‚Frischling‘ sind.

Auch das Frischlingsteam der ‚Local-Bühne‘ setzt sich aus Personen zusammen, die zum Großteil beruflich nicht im Kulturbereich arbeiten, sondern den Kabarettbetrieb als Publikum kennengelernt haben.

Und: Beide Auszeichnungen – Publikums- und Jurypreis – werden letztlich von den Besucher*innen vergeben.

Nicht zuletzt zeigt sich die Publikumsnähe beim gemeinsamen Feiern in Freistadt, aus dem gute Bekanntschaften und Freundschaften entstehen können. Doch über die ins Freistädter Nachtleben investierten Gagen darf abschließend ein Mantel des Schweigens gebreitet werden. Neugier kann man stillen, indem man zum ‚Frischling‘ kommt und mitfeiert.

© Michael Eibl, Der Freistädter Frischling.
In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2021.

 


Foto: © Flora Fellner

Michael Eibl, seit späten Jugendjahren Ende der 1990er im ‚Local-Bühne‘-Umfeld aktiv als Kulturarbeiter und Ehrenamtler. Erste Veranstaltungsorganisationserfahrung mit Poetry Slams in Freistadt, 2000 – 2002.
Nach einigen Jahren mit Fokus auf jugendpolitischer Aktivität seit 2008 hauptberuflich für die Veranstaltungstätigkeit der ‚Local-Bühne‘ verantwortlich
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Veröffentlicht am: 3. Dezember 2021