HARALD SICHERITZ
Bilder malen, ohne sich in die Ecke zu pinseln
Es klopft an meiner Wohnzimmertür. Unmittelbar danach tritt Roland Düringer ein: „Grüß Gott, ich hätt’s eilig.“ – „Ganz eine schlechte Eröffnung. Gehen S‘ raus, und probieren S‘ das noch einmal“, knurrt ihm Alfred Dorfer, neben mir am Esstisch sitzend, entgegen. „Super!“, kommentiere ich und kritzle den Text zwischen die Zeilen des vor mir liegenden Drehbuch-Entwurfs. „Okay. Jetzt der Breitfuß“, kündigt Düringer an. Verlässt den Raum, schließt die Tür hinter sich. Klopft, stürmt herein, ruft grantig: „Herr Weber!“ Dorfer lehnt sich zurück. „Woher kennst du meinen Namen?“, improvisiert er, die sonore Stimme des Synchronsprechers von Bruce Willis imitierend. Zwei Sekunden Stille. Dann Gelächter, aus allen drei Kehlen.
Ja… so war das, als wir von 1998 bis 2001 in meiner Wohnung beim Naschmarkt die Shooting Scripts aller 34 Folgen der Sitcom „MA 2412“ erarbeiteten.
1993 hatte ich mit den beiden Herren und den weiteren Mitgliedern der Kabarettgruppe „Schlabarett“ (Eva Billisich, Andrea Händler, Reinhard Nowak) aus deren Bühnenstück „Muttertag“ nach jahrelangen, zähen Förderungsverhandlungen endlich den gemeinsamen Spielfilm-Erstling gemacht. 1995 folgte „Freispiel“, mit Dorfer im Zentrum. 1997 „Hinterholz 8“, mit Düringer in der Hauptrolle. 1999 „Wanted“, starring Dorfer. 2002 „Poppitz“, mit Düringer als Leading Man. 2003 schloss sich unser Schaffenskreis mit „MA 2412 – Die Staatsdiener“, einer Kino-Adaption der Sitcom – vorläufig, denn alle Beteiligten sind einander ungebrochen in kreativer Freundschaft verbunden.
Meine bislang letzte Zusammenarbeit mit einem Kabarettisten als Hauptdarsteller gab es 2016, mit Thomas Stipsits. Er war der UNO-Soldat „Baumschlager“ im gleichnamigen österreichisch-israelischen Film.
Wie gestalten sich diese Zusammenarbeiten? Wie unterscheiden sie sich von Produktionen mit Schauspieler*innen, die nebenher nicht auf den Brettern von Kleinkunstbühnen stehen?
Die Entstehung von „MA 2412“ illustriert wohl den Sonderfall – zwei der Hauptdarsteller*innen waren gleichzeitig Co-Autoren. Wir trafen uns für jede der vier Staffeln zu einer Kick-Off-Konferenz, bei der einzelne Episodenthemen (Zeitreise, Wahlkampf, Computer etc.) launig diskutiert und festgelegt wurden. Dorfer und Düringer wählten je die Hälfte dieser Themen für sich, um allein Erstfassungen zu schreiben. Die Ergebnisse trudelten dann in meinem Mail-Account ein. Mir oblag es, sie in Form und Rhythmus zu bringen. Danach versammelten wir uns noch ein- bis dreimal in meinem Wohnzimmer, um – wie eingangs skizziert – die Plots und Dialoge feinzuschleifen.
Bei den nachfolgenden Spielfilmen war es, in vom Trio auf wechselnde Duos reduzierter Besetzung, ähnlich. Mit dem Unterschied, dass sich, schon wegen der komplexeren dramaturgischen Struktur der Drehbücher, mein Gestaltungsanteil daran noch erhöhte.
Kabarettist*innen sind es zumeist gewöhnt, ihre Texte selbst zu verfassen und sie – öffentlich oder privat – vor Publikum zu testen. Sie verfügen fast ausnahmslos über gut trainiertes Improvisationstalent. Das hat im Kreativprozess eindeutig Vorteile – sofern es gelingt, die coolen Geistesblitze und reflexartig entstehenden Pointen festzuhalten. Ich habe die mir früh zugefallene Position als Chronist der laufenden Ereignisse bald lieben gelernt.
Bis heute versuche ich als Autor und Regisseur meinen Co-Autor*innen und Schauspieler*innen (egal, ob im Kabarett tätig oder nicht) genau zuzuhören, ihre kostbaren Denk- und Sprechperlen möglichst ohne Streuverlust aufzufädeln, am Schreibtisch mit den eigenen Ideen zu verbrämen und sie am Set entsprechend zu inszenieren. Ich habe dabei in meinen 30 Berufsjahren freiwillig wie zwangsläufig viel gelernt und freue mich, dass dieser Prozess offenbar nie endet.
Beim gemeinsamen Denken, Diskutieren und Improvisieren wird es schnell einmal unübersichtlich. In solchen Momenten nicht nur Konzentration und Nerven, sondern auch den Humor zu bewahren, ist ein gewaltiger Vorsatz. Folgt man ihm jedoch mit Disziplin (für mich das Gegenteil eines Pfui-Wortes), wird man in jedem Fall belohnt. Eine weitere Erkenntnis: das Abweichende, das Widersprüchliche, das (im Moment) Unbrauchbare muss ebenso liebevoll verwaltet werden wie die sofort als gut erkannten Ideen. Hirngespinste sind nicht immer klar. Und auch die trüben Gedanken sind frei und wertvoll.
Diese Erfahrungen verdanke ich nicht ausschließlich, aber zum Großteil der Arbeit mit Kabarettist*innen.
Bei den Dreharbeiten zu „Poppitz“ hat der deutsche Schauspieler Kai Wiesinger den Part des vermeintlichen Nebenbuhlers von Roland Düringer. Er wird, obwohl alles gut läuft, mit jedem Tag nervöser. Wenn ich mich zwischen den Takes mit Düringer bespreche, verfolgt er dies sehr besorgt. Wir beschließen, mit ihm darüber zu reden. „Mensch, ich versteh’s nicht“, bricht es aus Wiesinger heraus, „offenbar haben wir’n echtes Zeitproblem. Wie könnt ihr da so verdammt ruhig bleiben?“ – „Wir haben ein Zeitproblem?“, fragt Düringer überrascht. Auch ich bin verwundert. Darauf Wiesinger: „Glaubst du, ich bemerk das nicht? Du rennst doch nach jedem Cut zu Harald und fragst ihn: ‚Geht sich das aus?‘“
Ich erzähle diese von allen damals Anwesenden herzlich belachte Anekdote nicht wegen der Bedeutungsunterschiede in unserer, der deutschen gar nicht so gleichen Sprache. Die Geschichte soll belegen, dass die Zusammenarbeit mit Darstellern, die zugleich Autoren sind, reibungslos funktionieren kann. Wie die gesamte kollektive Existenz der Menschen ruht sie auf einer einzigen, tragenden Säule – dem Vertrauen.
Vertrauen setzt bei jedem von uns einiges voraus. Ausreichendes Selbstbewusstsein, gut kontrollierte Eitelkeiten, umfassende Kenntnis des/der Anderen, Anerkennung und Wertschätzung für Fähigkeiten und Ideen.
Düringer hat mir als Regisseur vertraut – so, wie viele Schauspieler*innen seither. Er konnte sich voll auf seine Rolle konzentrieren und, falls ihm an seinem Agieren vor der Kamera Zweifel kamen, diese sogleich beseitigen. Zum Beispiel mit der simplen Frage „Geht sich das aus?“, und meiner Antwort darauf.
Alle Kabarettist*innen, die mit mir Drehbücher geschrieben und diese danach mit mir verfilmt haben, waren zudem problemlos in der Lage, die verschiedenen Berufsfelder auseinanderzuhalten.
Wir arbeiteten beim Schreiben als Autor*innen zusammen. Beim Drehen gab es dann aber nur mehr Darsteller*innen und die Regie, mit präziser Funktionsaufteilung. Wobei ich anmerken muss, dass notwendige Textänderungen sich natürlich leichter und treffender finden lassen, wenn die Co-Autor*innen auf der anderen Seite der Kamera stehen.
Markante Unterschiede in der Zusammenarbeit konnte ich zwischen den Generationen von Dorfer bis Stipsits (und zuletzt Klaus Eckel) nicht feststellen. Es ist immer wieder gelungen, das Schlimmste zu vermeiden – nämlich, dass wir uns beim gemeinsamen Bildermalen in entgegengesetzte Ecken pinseln. Zum Erfolg beigetragen hat sicherlich, dass die normative Kraft des Faktischen beim Filmemachen besonders mächtig ist.
Ich denke da wie mein berühmter Berufskollege David Fincher: „Die Leute sagen, ‚Es gibt eine Million Möglichkeiten, eine Szene zu drehen‘. Ich glaube das nicht. Ich denke, es gibt vielleicht zwei. Und die andere ist falsch.“
© Harald Sicheritz, Bilder malen, ohne sich in die Ecke zu pinseln.
In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2021.
Foto: © Vered Adir
Harald Sicheritz, geboren 1958 in Stockholm, Schweden. Aufgewachsen in der drittgrößten Stadt Österreichs – Wien Favoriten. Matura am BRG 4. Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaft, Dissertation „Wie unterhält das Fernsehen?“ Dort in zahlreichen Funktionen tätig, unter anderem bei „Ohne Maulkorb“. Rockmusiker beim „Wiener Wunder“.
Ab 1989 Ausbildung zum Regisseur und Autor, u.a. bei Lenore DeKoven am American Film Institute in LA, in Seminaren von Inga Karetnikova und Krysztof Kieslowski.
In der Rangliste des Österreichischen Filminstituts liegen „Hinterholz 8“ und „Poppitz“ auf Platz 1 und 2. Sechs Sicheritz-Filme führten im Startjahr die Kinobilanz an. TV-Erfolge u.a. mit „Vorstadtweiber“, „Kaisermühlen Blues“, „MA 2412“, „Mutig in die neuen Zeiten“ sowie mehreren Filmen der Reihe „Tatort“.
Veröffentlicht am: 8. Oktober 2021