SEBASTIAN ZÄSCHKE
Technik im Grazer Theatercafé
Am Anfang der Vorstellung mache ich das Saallicht aus. Warte in etwa zwei Sekunden. Und dann kommt der erste „Cue“ – also die erste technische Anweisung des Abends. Meistens bedeutet das, das „Grundlicht“, also die Lichtstimmung, in der hauptsächlich gespielt werden wird, „aufzuziehen“ bzw. „einzufaden“. Oft ist dies einfach eine gleichmäßig weiße Ausleuchtung der Bühne. Aber das ist eben nicht immer so, und da kommen wir schon zu einem der besten Aspekte des Arbeitens bei einer Kabarett-Bühne: Die beispiellose Vielfalt der dort dargebotenen künstlerischen Formen.
Aber ich greife vor. Bevor sich der Vorhang hebt bzw. in Ermangelung eines solchen einfach das Bühnenlicht angeht, wurde ein guter Teil der Arbeit des Abends bereits erledigt.
Der Diensthabende der drei Techniker (im Theatercafé arbeiten zurzeit nur männliche Techniker) der Kleinkunstbühne Hin&Wider schließt das Theatercafé am späten Nachmittag auf und „schaltet es ein“ – das sind, alle Lichtschalter, Wasserhähne, Türschlösser und Sicherungen zusammengezählt, etwa 50 Handgriffe für Eingangstüren, Küche, Licht- und Tonanlage, Notausgänge, Kaffeemaschine etc. Dann kommt es darauf an, ob man mit den KünstlerInnen noch „Einleuchten“ muss – also gegebenenfalls Scheinwerfer einstellen, Lichtszenen programmieren, Mikrofone und Musikinstrumente „checken“ und eventuell anspruchsvolle Stellen proben – oder ob das bereits an einem der Vortage geschehen ist. Im letzteren Falle kann man einfach etwas später zur Arbeit erscheinen. Wenn das jedenfalls erledigt ist, bleibt bis zum Beginn der Vorstellung meistens noch eine gute Stunde Zeit, um mit den KünsterInnen und KollegInnen zu ratschen, Kleinigkeiten zu essen, nochmal das Skript durchzugehen, zu lesen – oder beim Kartenabriss zu helfen.
Dann aber ist es soweit! Die KollegInnen von der Gastronomie haben letzte Getränke serviert und letzte Bestellungen für die Pause aufgenommen. Ich begebe mich in die „Kammer“ hinter meine Mischpulte für Ton und Licht, bekomme dann ein Lichtzeichen, dass es losgeht und mache daraufhin die Musik aus und dimme das Saallicht auf die halbe Kraft.
Auftritt ChefIn vom Dienst: Herzlich Willkommen im Theatercafé – Rauchen bitte nur draußen im Hof – Die Notausgänge sind da, da und da – Bestellungen werden in der Pause nur ein einziges Mal pro Tisch aufgenommen, also bitte sich vorher abzusprechen, falls jemand den Tisch verlässt – Mobiltelefone sind bitte zu deaktivieren – Vielen Dank und jetzt wünsche ich eine schöne Vorstellung!
ChefIn vom Dienst ab. Saalicht ganz ausfaden. Eventuell den Recorder für einen Audiomitschnitt einschalten. Nur die Notausgangsbeschilderung verbreitet jetzt noch einen grünlichen Schimmer.
Und nun kommt der erste Cue. Und der definiert sich wie folgt: Zu den meisten Programmen bringen die KünstlerInnen ein sogenanntes Technikbuch oder Skript mit, welches üblicherweise den gesamten Text des Programmes beinhaltet, inklusive der Regie- und Technikanweisungen. Manchmal auch nur die Technikanweisungen, lediglich versehen mit den Stichworten oder Aktionen, die auf der Bühne irgendwann passieren werden und eine spezifische Aktion der Technik auslösen sollen.
Oder manchmal passiert das alles einfach mündlich. Zum Beispiel: „Wenn ich sage ‚Ach So! Na Gut!‘ machst Du bitte ein Black!“ Und da kommen wir auch gleich zu der mit Abstand beliebtesten Anweisung: Sogenannte „Blacks“ – also das kurze Ausschalten des Bühnenlichtes – um eine Pointe zu betonen oder das Ende einer einzelnen Nummer, eines Abschnittes oder des gesamten Programmes zu signalisieren.
Es gibt auch ganz spezielle Skripte. Das Technik(!)-Skript zu Didi Sommers Programm „Aufschneidn“ ist zum Beispiel (aus gutem Grund) komplett in oberösterreichischer Mundart verfasst, was schlecht assimilierte TechnikerInnen aus dem Ausland schon vor Herausforderungen stellen kann.
Üblicherweise wird jedoch einfach das Bühnenlicht angemacht, manchmal noch unmittelbar vorher eine spezielle Musik oder eine Ansage vom Band eingespielt. Viel muss der Techniker oder die Technikerin meistens nicht tun, ein Extremfall ist zum Beispiel Gunkl, der den kompletten Abend in einer einzigen Lichtstimmung auf der Bühne steht, Pausen und Ende von der Bühne aus ansagt, und bei uns oft ohne Mikrofon spielt. Ein anderes Extrem sind da etwa einige Programme von Thomas Maurer, bei denen über drei Viertel der Zeit technisch praktisch nichts passiert – und dann vom Technikpersonal innerhalb der letzten 20 Minuten 79 respektive Video-, Ton- und Lichteinsätze verlangt werden, teilweise im Rhythmus einzelner Sätze.
Und „Rhythmus“ ist auch wieder ein wichtiger Begriff, denn irgendwo um ein Stichwort herum eine Audiodatei abzuspielen oder ein „Black“ zu machen, ist jetzt für die meisten TechnikerInnen keine große Aufgabe. Aber für das Funktionieren von Komik sind Rhythmus und Timing essentiell und teilweise ebenso wichtig wie der Inhalt. Und da ist es jenseits von der Gehörbildung von zusätzlichem Vorteil für TechnikerInnen, ein Instrument zu beherrschen. Im Falle des Theatercafés rekrutieren sich sowieso die meisten TechnikerInnen aus den TontechnikstudentInnen der Technischen Universität Graz bzw. der Kunstuniversität Graz.
Allerdings passieren auch den besten Leuten Fehler. Anfällig sind da logischerweise weniger die Programme ohne Technikeinsätze und auch die mit vielen Einsätzen sind nicht unbedingt die Quelle des Übels, weil sie ein hohes Konzentrationslevel erzwingen – gefährlich sind eher diejenigen mit drei bis vier Einsätzen pro Halbzeit. Da denkt sich der Techniker oder die Technikerin „Das sind eh nicht viele! Passt!“, aber es fehlt der Ehrgeiz, der bei einem einzigen Einsatz gegeben wäre. Bei einer solchen Gelegenheit wurde ich übrigens mal von Christian Hölbling (in der Rolle seiner Bühnenfigur „Helfried“) gefragt, warum ich nicht aufpassen würde, und ob ich etwa heimlich Kekse essen würde. Das tat ich zu dem Zeitpunkt zwar nicht – aber ich fragte mich, warum eigentlich nicht, und damit war eine Gewohnheit geboren.
Es gibt auch Programme mit einem so massiven Aufwand, dass die KünstlerInnen ins Theatercafé ihre eigenen TechnikerInnen mitnehmen, weil ansonsten eine Woche nur Technik geprobt werden müsste, ein Beispiel wäre „Triest“ von Stipsits & Rubey.
Eine andere Art, den Techniker und die Technikerin zu fordern, ist die ausgefeilte Gestaltung der verschiedenen Lichtstimmungen – Leo Lukas zum Beispiel hat da den Anspruch, keinen der 12 „Lichtkreise“ (das sind die vom Lichtmischpult aus separat schalt- und dimmbaren Stromkreise) ungenutzt zu lassen. Oder es kommt eine achtköpfige Band, für die die Bühne extra auf 12 Quadratmeter erweitert werden muss. Manchmal kommt die auch zusammen mit Leo Lukas, und dann hat man beim Vorbereiten gut zu tun.
Ein großer Vorteil (und manchmal auch ein Nachteil) ist, dass man sich viele Programme sehr häufig anschaut. Ein Vorteil ist es natürlich bei sehr guten Programmen. Oder wenn aufgrund der Natur der Programme jeder Abend anders ist, z. B. durch Improvisationen. Aber es gab auch schon welche, die mir erst ab dem dritten Sehen angefangen haben, wirklich zu gefallen.
Und natürlich entwickelt man durch dauerhaftes, „professionelles“ Kabarett-Schauen einen speziellen Geschmack. Man lernt zum Beispiel Reduktion zu schätzen – in meiner Wahrnehmung verwandelt sich die 10-Quadratmeter-Bühne bei unterschiedlichen KünstlerInnen nur durch gutes Spiel in völlig unterschiedliche Räume, ohne dass dazu ein elaboriertes Bühnenbild notwendig wäre. Wobei natürlich auch eine „Materialschlacht“ durch ihre pure Masse einen guten Punkt machen kann, oder wenn tatsächlich bei jedem Gegenstand eine erkennbare Notwendigkeit besteht. Nicht zwingend notwendige Dinge auf Bühnen sind ein beliebter AnfängerInnenfehler.
Ein weiterer Vorteil des „viel Sehens“ ist, dass man der unfassbaren Vielfalt, der auf diesen 10 Quadratmetern möglichen Kunstformen, ausgesetzt wird. Von bis in die letzte Geste streng durchgeprobten Theaterstücken in zwei Bildern über dadaistisches Musikkabarett bis zu klassischen Stand-Up-Formaten ist da alles dabei! Textkommunikation ausschließlich durch große Schrifttafeln – den gesamten Abend. Chansons. Pole-Dance. Schüttelreime. Gert-Jonke-Monologe. Zwei Darsteller, die gemeinsam Massenszenen mit 13 Charakteren spielen. Austropop. Umfangreiche, improvisierte Publikumsbeschimpfungen.
Alles.
Wenn das Programm dann vorbei und der Applaus verklungen ist, ist üblicherweise nur noch wenig zu tun: Musik und Saallicht sind wieder aufzudrehen, die technischen Gerätschaften vom Strom zu nehmen und die Fensterklappe der Technikkammer zu schließen.
Sollte sich jedoch für die Zeit nach der Kabarettveranstaltung eine größere Gruppe an Gästen angekündigt haben, ist im Theatercafé noch die Bühne abzubauen und zu verstauen, was zumindest im Falle der erwähnten achtköpfigen Bands und speziell ihrer Gerätschaften durchaus zu Aufwand führen kann. Aber meistens besteht der wichtigste Auftrag nach der Vorstellung darin, mit den KünstlerInnen noch ein Bier oder eine Fanta zu trinken, mit den KollegInnen das Programm zu diskutieren – und den Abend in Ruhe ausklingen zu lassen.
Und dazu muss man nicht mal besonders weit gehen. Denn man ist ja schon da.
© Sebastian Zäschke, Technik im Grazer Theatercafé
In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2021.
Foto: © Sebastian Zäschke
Sebastian „Z“ Zäschke (* 1977 in Darmstadt) ist seit 2004 Techniker für alles bei Hin&Wider im Theatercafé (und bei der Styriarte und anderen Produktionen, aber nur noch sporadisch) und seit 2018 Tontechniker im Next Liberty bei den Vereinigten Bühnen Graz, wo er auch ab und an bei der Lichttechnik aushilft.
Nach ersten Technikerfahrungen mit Schultheatergruppen gründete er in Darmstadt 1995, gerade volljährig, mit Freunden einen Verleih für Veranstaltungstechnik.
1999 Umzug nach Graz, weil die Aufnahmeprüfung für das Tontechnikstudium damals noch einfach war. 2000 bis 2003 Tontechniker bei „Le Craval“. Ab 2004 nur noch vereinzelte Uni-Besuche, da man an der Grazer Uni eher lernt, Mischpulte zu bauen, als sie tatsächlich zu bedienen.
2010 bis 2015 neben der Arbeit Studium der Philosophie mit Schwerpunkt auf militärische Ethik. Diesmal sogar mit Abschluss.
Veröffentlicht am: 9. Juli 2021