MANFRED KOCH
„Angewandte Schizophrenie“
Eine Doppelconference
ICH 1: Das Wichtigste im Kabarett ist der Text.
ICH 2: Behauptet wer?
ICH 1: Die Kabarett-Autoren. Ich inklusive.
ICH 2: Quatsch! Das Wichtigste im Kabarett ist die Darstellung auf der Bühne.
ICH 1: Und wer sagt das?
ICH 2: Die Kabarett-Schauspielerinnen und -Schauspieler, eh klar.
ICH 1: Gut, aber wer hat recht? Worauf kommt’s wirklich an?
ICH 2: Der legendäre Autobauer Henry Ford hat einmal gesagt: „Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.“
ICH 1: Und was, bitteschön, soll uns das jetzt sagen?
ICH 2: Dass Kabarett-Schreiber genauso recht haben wie Kabarett-Spieler, ausgenommen dann, wenn beide nicht recht haben. Es kommt nämlich darauf an, worauf es ankommt, damit im Kabarett etwas ankommt. Und zwar beim Publikum.
ICH 1: Und? Auf was kommt es an?
ICH 2: Äh … ich glaube, das hatten wir schon. Also, so kommen wir leider nicht weiter.
ICH 1: Da haben es die Kabarettisten und Kabarettistinnen leichter, die beides machen: ihre Texte selber schreiben und auch selber spielen. Die können sich nämlich auch mit sich selber darüber streiten, was wichtiger ist. Und einer oder eine gewinnt immer.
ICH 2: Tja, aber wenn man für andere Leute schreibt, die dann so tun, als wäre das, was sie auf der Kabarettbühne sagen oder singen, ihrem eigenen Hirn entsprungen …
ICH 1: … und dafür auch noch hundert Prozent der Lacher und des Beifalls einheimsen, obwohl ihnen davon höchstens fünfzig Prozent zustehen …
ICH 2: … wenn man sich also für „Mietclowns“ (Copyright: Werner Schneyder) seine grenzgenialen Texte einfallen lässt, dann ist des Schreibers Frust natürlich vorprogrammiert.
ICH 1: Selber schuld, wenn du dich als Autor nicht selbst auf die Bühne stellst und deine Gedanken zu Markte trägst, sondern es andere für dich machen müssen, weil du nicht singen, schauspielern und komisch dreinschauen kannst. Und außerdem unfähig bist, deine eigenen Texte auswendig zu lernen und vor Publikum aufzusagen.
ICH 2: Richtig! Darüber zu schimpfen, dass die ach so genialen, hoch literarischen, radikal politisch gedachten und eigentlich mindestens nobelpreiswürdigen Texte von den Menschen auf der Bühne überhaupt nicht verstanden, vom Regisseur komplett daneben inszeniert, vom Komponisten fürchterlich missvertont und insgesamt völlig falsch interpretiert werden, ist natürlich viel einfacher. Genauso, wie als Schauspieler vice versa über die Autoren zu schimpfen, weil sie ihnen kein bühnenwirksames Selbstdarstellungsfutter liefern. Das hat sich seit Goethes Zeiten nicht geändert, obwohl der noch gar nicht fürs Kabarett geschrieben hat, soviel ich weiß. Vom reichlich langatmigen Sketch „Faust“ mal abgesehen.
ICH 1: Detto umgekehrt: Auch einen – zugegeben schwachen – Text steckst du dir als Autor als deine Meisterleistung stolz auf deinen Hut, und zwar in dem Moment, in welchem er auf der Bühne zu deiner Überraschung großartig interpretiert wird. Weil es natürlich auch grenzgeniale „Mietclowns“ gibt.
ICH 2: Mit anderen Worten, was der Schreiber – übrigens immer männlich, weiblich oder divers – nicht kann, kann der Darsteller – ebenfalls männlich, weiblich oder divers. Und was der Darsteller nicht kann, kann der Schreiber.
ICH 1: Das geben sie aber nur ganz selten bis nie zu. Warum eigentlich?
ICH 2: Ich fürchte, wir drehen uns schon wieder im Kreis. Was ist wichtiger: der Text oder die Interpretation? Die Henne oder das Ei?
ICH 1: Jedenfalls kommt der Text zuerst. Ohne uns Autoren könnten die Schauspieler und Schauspielerinnen nur das Telefonbuch spielen.
ICH 2: Und ohne die Leute auf der Kabarettbühne könnten wir Kabarettautoren Kabaretttexte nur für die Schublade produzieren.
ICH 1: Äh … machen Kabarettautoren jemals was anderes?
ICH 2: Ja ja, jetzt kommt wieder die alte Leier, dass man zig Texte schreibt und anbietet, und sich dann die Kabarettensembles mit spitzen Fingern und sonstigen Spitzfindigkeiten nur ein paar Texte herauspicken, die sie dann auch wirklich spielen. Und dass du den Rest umsonst geschrieben hast, und zwar in jeder Hinsicht. Mein Gott, niemand zwingt dich!
ICH 1: Wurscht! Ich habe mir jedenfalls längst angewöhnt, mich über einen Kabaretttext zu freuen, wenn ich ihn schreibe, und über eine Pointe zu lachen, wenn sie mir einfällt. So schön, gut, witzig und gescheit wie beim ersten Mal wird es nämlich nie wieder!
ICH 2: Stichwort „erstes Mal“: Als im Frühjahr 1968 vom legendären Grazer Kabarettensemble „Die Tellerwäscher“ mein erster Text gespielt wurde, ging ich am nächsten Tag mit dem unheimlich stolzen Gefühl durch die Stadt, alle Menschen würden von meinem „literarischen Erfolg“ wissen und mich bewundern. Dieses schöne Gefühl ist leider schnell verpufft, und seither lebe ich als Kabarettautor mit meiner Gespaltenheit zwischen Satiriker und Lohnschreiber. Denn bei dem, was ich für diverse Kabarettensembles und eine zeitlang fürs TV geschrieben habe und schreibe, mischen hinterher viel zu viele Leute mit. Und ob sie die Suppe verbessern oder verwässern, darauf habe ich keinen Einfluss.
ICH 1: Als Satiriker geht’s mir da besser. Seit über drei Jahrzehnten verfasse ich eine wöchentliche satirische Kolumne in einer großen österreichischen Tageszeitung. Und da ist jeder Text so zu lesen, wie ich ihn gedacht und geschrieben habe. Manfred Koch pur. Ohne Interpretation. Kleines montägliches Lesekabarett sozusagen.
ICH 2: Glückwunsch! Da stehst du in einer großen Tradition. Erich Kästner hat in den 30er-Jahren in der Berliner Montagszeitung den Lesern und Leserinnen mit seinen „Gebrauchsgedichten“ den ironisch-böse-klugen-wehmütigen Moralspiegel vorgehalten.
ICH 1: Stimmt. Peter Handke hat behauptet, er käme von Homer, Tolstoi und Cervantes. Ich sage, ich komme von Tucholsky und Kästner.
ICH 2: Hast du’s nicht eine Nummer kleiner?
ICH 1: Nö. Ein bisschen Egotrip muss sein. Und irgendwer muss die literarische Satire, speziell das politische Gedicht, ja hochhalten in Zeiten, in denen man über diverse Politiker und Zustände am besten direkt lacht, statt über sie Witze zu machen – und das Kabarett deshalb leider mehr und mehr zur kulinarischen Comedy und zum Geschäftszweig „Angebot gehobener Unterhaltung für entspannte Abendstunden“ downsozialisiert.
ICH 2: Wie bitte? Downsozialisiert?
ICH 1: Na ja, ich wollte nicht gleich „verkommt“ sagen.
ICH 2: Damit machst du dir jetzt aber keine Freunde.
ICH 1: Ist ja auch nicht die Aufgabe eines Satirikers. Und auch nicht eines Kabarettautors, was aber, wie wir inzwischen hoffentlich wissen, nicht unbedingt immer deckungsgleich ist.
ICH 2: Fängst du schon wieder damit an? Die Kabarettisten, für die du schreibst, sehen das sicher anders. Glaubst du nicht, dass die jetzt auf dich sauer sind?
ICH 1: Das musst du die fragen.
ICH 2: Mach ich aber nicht.
ICH 1: Ist auch besser so.
ICH 3: Jetzt reicht’s aber! Arroganter Schreiberling!
ICH 2: Äh … welcher Hammel mischt sich denn da jetzt noch ein?
ICH 1: Keine Ahnung. Ich bin’s nicht.
ICH 2: Ich auch nicht.
ICH 3: Aus! Schluss! Maul halten! Alle beide runter von der Bühne!
ICH 2: Ich fürchte, das war irgendwie wohl doch nicht so toll, was wir da soeben von uns gegeben haben. Und besonders witzig schon gar nicht. Und wirklich schlau geworden ist aus unserem Gefasel über das schwierige Verhältnis zwischen Kabarettautor und Kabarettspieler vermutlich auch niemand. Ganz zu schweigen vom noch schwierigeren Verhältnis, das jeder Schreiber zu sich hat.
ICH 1: Das kapier’ ich ja selber nicht.
ICH 2: Ach, und wieso redest du dann daher wie ein Schlaumeier? Bloß um so zu tun, als hättest du als Autor den großen Durchblick?
ICH 1: Okay. Schon verstanden. Ich sag gar nichts mehr, mache meine Verbeugung und gehe.
ICH 2: Ich auch.
ICH 1: Na, wenigstens in diesem Punkt sind wir uns einig.
ICH 3: Endlich! Und tschüss!
BLACKOUT
© Manfred Koch, Angewandte Schizophrenie.
Eine Doppelconference
In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2021.
Foto: © Markus Laimer
Veröffentlicht am: 5. November 2021