THOMAS TRÖBINGER
Lange Nacht des Kabaretts
Die Idee der „Langen Nacht des Kabaretts“ aus dem Jahr 1997 ist schnell erklärt: Wenn junge, talentierte, aber wenig bekannte KünstlerInnen um Auftritte anfragen, müssen VeranstalterInnen oft und schweren Herzens absagen – weil es nicht so leicht ist, das Publikum für unbekannte Namen zu begeistern.
Neben meiner Schwärmerei fürs Kabarett und der Gründung einer Agentur zu Schulzeiten war ich in diesen Jahren Student der Psychologie. Und diese paar Semester waren ausreichend für die unbewusste Gedankenfolge: Wenn die Veranstalter schon bei der Absage an einen einzelnen Jungkabarettisten ein betrübtes Herz haben, dann können sie zu vieren sicher nicht nein sagen. Dann war da noch – zu einer Zeit wo Museen, Kirchen und Einkaufsstraßen selig vor sich hinschlummerten, wenn es finster wurde – die Titelidee „Lange Nacht des Kabaretts“ samt der unwiderstehlichen Einladung ans Publikum und dessen Campingausrüstung: „Wir spielen so lange Sie wollen!“.
Es hat gleich funktioniert. Immer mehr VeranstalterInnen fanden die Idee gut und wir sind mittlerweile hunderte „Lange Nächte“ lang den Pfaden der heimischen Kleinkunsttempel gefolgt. Die KabarettistInnen hatten die Möglichkeit, sich viel Publikum zu erspielen und das viele Publikum wiederum die Chance, einen neuen Liebling zu entdecken.
Beides ist reichlich passiert.
Thomas Stipsits (2002 bis 2007 bei der „Langen Nacht“): „Die Lange Nacht des Kabaretts“ hat mir zum Einstieg in die Kabarettszene verholfen. Nicht nur, dass man dadurch viele Auftritte bekam, nein, es war auch Publikum vorhanden. Viele junge Künstler zermartern sich die Hirne und werden kaum gehört. So nach dem Motto: „Was der Bauern nicht kennt, das frisst er nicht.“
Da bietet die „Lange Nacht“ die perfekte Plattform. Natürlich haben Kollegen und ich sehr davon profitiert, dass die „Langen Nächte“ immer sehr stark besetzt waren und es auch nach wie vor sind. Wenn man junges, intelligentes, frisches, unverbrauchtes Kabarett sehen möchte gibt es zur „Langen Nacht“ fast keine Alternative.
Wie Sie sich gut vorstellen können, neigt eine intensiv zusammengerührte Mischung aus zarten Jungkünstlerseelen und möglichst hartgesottenen Zutaten aus verschiedenen und exotischen Management-Ländereien nicht immer nur zur Harmonie. In den Anfangsjahren war das so. Seit ich allerdings oben besagtes Studium abgebrochen habe und kaum mehr an der Mischung mit rühre – also weniger bei Auftritten mit dabei sein kann –, entwickelt sich die „Lange Nacht“ immer mehr zu einem Ort der starken Begeisterung am gemeinschaftlichen Werken, der Freundschaft und des Zusammenhalts noch weit über die zeitlichen Grenzen einzelner Tourneen hinaus. Das ist ein ganz großes Verdienst der KünstlerInnen – und mir eine noch weit größere Freude als die frühe Begleitung so manch beachtlicher Karriere im Kabarettgeschäft. Großes Danke!
Christian Hölbling (aus der ersten „Langen Nacht“ 1997): Als Solokabarettist unterwegs zu sein, ist nicht immer lustig. Die Erfolge kann man mit niemandem teilen, die Niederlagen muss man alleine einstecken. Insofern war die gemeinsame Tournee eine willkommene Abwechslung. Ich erinnere mich, dass ich in der „Langen Nacht“ öfters so eine Art Band-Feeling hatte: man spielt, man feiert, man streitet, man pickt zusammen, man blödelt … eine lustige Zeit war das! Wie Interrail, oder Camping mit Freunden.
Auch Ludwig Müller (1999 und 2000 bei der „Langen Nacht“) hat einen ganz ähnlichen Blick zurück: In den Jahren danach habe ich die Kollegen oft vermisst, wenn ich allein mit meinem Tourenkoffer in der Hand aus dem Zug stieg, an irgendeinem einsamen Provinzbahnhof zwischen dem Bodensee und dem Neusiedlersee. Die Einsamkeit des reisenden Solokabarettisten ist oft drückend. Drum freu ich mich heute über jeden Abend, den ich mit Kollegen teilen kann. Sei es beim jährlichen Niedermair-Fest, bei diversen Benefizveranstaltungen oder bei unseren Treffen des Vereins der Freunde des Schüttelreims. Da werden jedes Mal Erinnerungen wach, an die große, die einmalige, die ganz, ganz lange Nacht von damals.
Die „Lange Nacht des Kabaretts“ konnte sich einen guten Ruf erarbeiten bei (jungen) KabarettistInnen als ein sehr gut gefedertes Sprungbrett für die Kabarett-Karriere. Entsprechend gab es immer sehr viele Bewerbungen, aber meist keinen schwierigen Auswahlprozess. Wir mussten ja keine öffentlich zu rechtfertigende Auswahl-Jury finden, die die Verteilung von Fördergeldern zu verantworten hätte. Die Leitung der langjährigen treuen Partner der „Langen Nacht“ im Grazer Theatercafé, Tanja Baumgartinger und Manfred Koch, sowie im Kabarett Niedermair mit I Stangl und dann Andreas Fuderer, waren immer verlässlich gute BeraterInnen. Neben meinen eigenen Erkundungstouren durch allerlei Premieren von Erstlingswerken war auch noch Management-Kollege Andreas Peichl ein umtriebiger Ezzesgeber. Und zusätzlich konnte die gute alte Freunderlwirtschaft hemmungslos um sich greifen. Aber hoffentlich, in einem positiven Sinne: Der eine oder andere Fixstern hat sich immer von selbst ergeben, und wenn zum Beispiel Paul Pizzera dann den für einen Kollegen ausnahmsweise „einspringenden“ Otto Jaus gleich ganz besonders in Herz schließt, hat sich ein weiteres Mitglied für die nächste Tour von selbst ergeben. War kein Fehler! Und meist auch gute Voraussetzung für ein gelingendes Tourleben:
Clemens Maria Schreiner (2008 bis 2011, und 2014 bei der „Langen Nacht“): Der gemeine Kabaretteur ist ein soziales Geschöpf. Er sucht ständig die unmittelbare Nähe möglichst großer Menschenansammlungen, ist unermüdlich auf der Jagd nach Gesprächspartnern für seinen Monolog, die ihm ihre Aufmerksamkeit, ihr Wohlwollen und den Eintrittspreis zuteilwerden lassen. Und doch ist diese Suche nie Selbstzweck – sie ist Symptom einer tiefen inneren Einsamkeit. Die Blütezeit der großen Kabarettensembles ist lange vorüber, heute ziehen die meisten von uns in traurigen, zwangsmonogamen Duos oder gar in verzweifelter Isolation als Solisten durchs Leben. Einsame Cordon Bleus in heruntergekommenen Speisewagen, lustlos gelegte Patiencen in neonbeleuchteten Künstlergarderoben, die niederschmetternde Trostlosigkeit ruraler Gasthof-Einzelzimmer, die plötzliche Erkenntnis, dass man begonnen hat, sich mit dem Autoradio zu unterhalten. Wie Trucker. Den Laderaum voll mit der geselligen Heiterkeit die wir zwar pünktlich ausliefern – die uns selbst aber versagt bleibt. Der einzige Ausweg: die Einberufung in die vielköpfige Spezialeinheit des österreichischen Kabarettierens. Das Tour-Ticket der „Langen Nacht“.
Die „Lange Nacht des Kabaretts“ für uns ist wie ein Skikurs für Kaspar Hauser. Sie ist das Ende der Einsamkeit und der Einzelzimmer. „Lange Nacht“, das heißt, den KollegInnen Furzkissen auf den Autositz legen, wie eine marodierende Horde in Dorfkonditoreien einfallen, im Quartier bei Schädelwehwein zusammensitzen, bis es Frühstück gibt. „Lange Nacht“ heißt Minibar, Wunderbaum und Zugabenmassaker. Die „Lange Nacht“ ist unser kleines Stück von dem Kuchen, den sie „Den Verdammten Rock‘n’Roll“ nennen. Mahlzeit.
2022 wird die „Lange Nacht des Kabaretts“ 25 Jahre alt. Nicht nur ein runder Geburtstag, um diesen kleinen Rückblick zu machen. Vielleicht auch ein guter Moment zum Aufhören, weil es mittlerweile „Mixed Shows“ zur Beliebigkeit gibt, zum Neu-Erfinden oder gerade jetzt Weitermachen, weil die „Lange Nacht“ vieles war, aber hoffentlich nie beliebig. Da braucht es noch ein paar Gedankengänge!
Sonja Pikart (2019 bis 2021 in der „Langen Nacht“): Die Kabarett Mixed Show ist ja mittlerweile ein weit verbreitetes Format. Als Kabarettistin spiele ich mir regelmäßig 15 Minuten die Seele aus dem Leib, während die Kolleg*innen im Backstage Spritzer trinken und auf ihren Auftritt warten. Nacheinander gibt man sich die Ehre und beglückt mit einem kurzen Ausschnitt seines humoristischen Œuvres das Publikum, welches meistens mit einer kuriosen Marketingstrategie ins Theater gelockt wurde: „10 Künstler zum Preis von einer halben Leberkäsesemmel“, oder so. Diese Form der Berufsausübung ist ja schon ein wenig merkwürdig. Man stelle sich ein solches Prozedere einmal in einem anderen Job vor: Eine Gehirnchirurgin darf 15 Minuten im Frontalcortex eines Patienten herumwühlen. Anschließend sind noch 6 weitere Ärzte und Ärztinnen dran. Die Versicherung zahlt nur die Hälfte. Im Falle der Königsdisziplin der Mixed Shows – dem Kabarettwettbewerb – würde in diesem Vergleich schließlich auch noch der Patient per Applaus für die beste Operation abstimmen. Der oder die glückliche Gewinner*in darf sich nun an einem noch zu bestimmenden Termin ganze 90 Minuten im Operationssaal austoben und nimmt auch noch eine goldene Zitruspresse mit nach Hause (oder irgendein anderes vergoldetes Küchenutensil, Tier oder Gemüse, welches absolut nichts mit dem Beruf zu tun hat). Das Lokalfernsehen macht ein Interview.
Doch wie ist es nun mit der „Langen Nacht des Kabaretts“? Überholtes Mixed Show-Format oder kabarettistischer Evergreen? Zurück zum obigen Beispiel: die „Lange Nacht des Kabaretts“ wäre nun mehr eine Gruppe aufstrebender Mediziner*innen, welche sich mit geballter Expertise und frenetischem Teamgeist dem Gehirn des Patienten widmet. Das macht schon mehr Sinn. Es dauert etwas länger, ist dafür aber wesentlich nachhaltiger: Der Operierte ist noch Wochen nach dem Eingriff völlig aus dem Häuschen.
Mit anderen Worten: Was die „Lange Nacht des Kabaretts“ so besonders macht, ist, dass sich hier Künstler*innen unterschiedlichster Richtungen zusammenfinden, um zusammen etwas Neues, Ausgefeiltes, Durchdachtes zu schaffen, was über das simple Einer-nach-dem-Anderen Konzept normaler Mixed Shows hinausgeht. Es ist ein gemeinsam erdachtes Spektakel, das einfach mehr ist als die Summe seiner Teile.
Die KünstlerInnen der Produktionen der „Langen Nacht des Kabaretts“:
1997 – 1998: Bolzano & Maleh, Lainer & Linhart, Mike Supancic, Christian Hölbling
1999: Irene S., Ludwig Müller, Mike Supancic, O. Lendl
2000: Doris Kofler, Ludwig Müller, Leo Lukas, Werner Brix, Mike Supancic
2001: Werner Brix, O. Lendl, Mike Supancic, Severin Groebner, Gerhard Swoboda
2002: Die Divas, Klaus Eckel, Thomas Stipsits, Simon Pichler
2003 – 2005: Pepi Hopf, Klaus Eckel, Thomas Stipsits, Martin Kosch
2006 – 2007: Thomas Stipsits, Pepi Hopf, Fredi Jirkal, Stefan Haider
2008 – 2009: Clemens Maria Schreiner, Pepi Hopf, Gebrüder Moped, Gerhard Gradinger
2010 – 2011: BlöZinger, Clemens Maria Schreiner, Buchgraber & Brandl, Flüsterzweieck
2012 – 2013: Paul Pizzera, Didi Sommer, BlöZinger, Wolfgang Feistritzer
2014: Otto Jaus, Paul Pizzera, Clemens Maria Schreiner, Wolfgang Feistritzer
2015 – 2016: Lisa Eckhart, Berni Wagner, Daniel Lenz, Maurer & Novovesky
2017 – 2018: Christoph Fritz, Isabell Pannagl, David Scheid, Jimmy Schlager
2019 – 2021: Didi Sommer, BE-Quadrat, Jo Strauss, Sonja Pikart
© Thomas Tröbinger: Lange Nacht des Kabaretts.
In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2022.
Foto: © Thomas Tröbinger
Beginn eines Psychologie Studiums in Wien nach HAK Matura. Noch in der Schulzeit beginnt die Zusammenarbeit mit den Schulfreunden, dem Kabarettduo Bogner & Ludl und in Folge Lainer & Linhart.
Techniker- und Bürotätigkeiten im Theater am Alsergrund und dem Kindertheater „Stachelbären“ bei Andreas Hutter.
Gründung der „Langen Nacht des Kabaretts“.
Mehrere Jahre Technik- und Abendspielleitung im Kabarett Niedermair bei I Stangl.
Management für Mike Supancic, Clemens Maria Schreiner, Paul Pizzera, Lisa Eckhart, Pizzera & Jaus, Michael Großschädl.
Veröffentlicht am: 14. Jänner 2022