Foto: Slg. Österreichisches Kabarettarchiv
Budapester Orpheumgesellschaft
Singspielhalle/Varieté, Wien 1889 – 1919
Der Singspielhallen-Konzessionär und Volkssänger-Agent Matthias Bernhard Lautzky engagierte für ein Gastspiel im Sommer 1889 Künstler/innen in Budapest. Als künstlerischen Leiter holte er sich den bekannten Wiener Volkssänger Josef Modl, der gute Kontakte in die Budapester Szene hatte. – Zu dieser Zeit waren Künstler/innen erstaunlich mobil und traten sowohl in Budapest, Wien und Berlin auf. Die Budapester Bühnen und ihre Komiker hatten zudem einen guten Ruf in Wien, weshalb Lautzky sein Unternehmen wohl „Budapester Orpheumgesellschaft“ nannte.
Am 27. Juni 1889 absolvierte die neue Gesellschaft, die aus vielen Wiener Volkssängern bestand, im Hotel Schwarzer Adler (Taborstr. 11) ihren ersten Auftritt. In der Folge war die Truppe auf vielen Wiener Bühnen zu sehen. Und das mit Erfolg, sodass das Gastspiel prolongiert wurde. Und wieder prolongiert – bis sich die „Budapester Orpheumgesellschaft“ in Wien etabliert hatte.
Das Programm bestand anfänglich aus Couplets, Wiener Liedern, Operettenarien, Liedern in ungarischer Sprache, Tanznummern, Duetten, grotesken Szenen, Parodien, Vorträgen und Soloszenen von Künstlerinnen und Künstlern, war also ein buntes Unterhaltungsprogramm, das rund vier Stunden dauerte und das von Essen und Trinken begleitet wurde. Allmählich kamen einaktige Possen dazu, die im Laufe der Jahre gewichtiger wurden und die anderen Nummern in den Hintergrund drängten.
Das Programm wechselte durchschnittlich alle zwei Wochen und es wurden zudem immer wieder Stars zu Gastauftritten eingeladen. Was aber die „Budapester“ zur besonderen Bühne machte, war das von ihnen zur Blüte gebrachte Jargontheater. Sie spielten Possen und Couplets im Jargon, wie das „Jüdeln“, eine Dialektform, ein Deutsch mit jiddischen Begriffen, die aber allgemein verständlich waren, genannt wurde.
Die „Budapester“, beziehungsweise Direktor Lautzky (und nach dessen Tod 1901 sein Neffe Karl Lechner), hatten in ihrer dreißigjährigen Bestandszeit rund 400 Solist/innen oder Gruppen unter Vertrag, darunter Heinrich Eisenbach, die Gebrüder Rott (Max Rott und Benjamin Blaß bzw. Bernhard Liebel), Karl und Kathi Hornau, Josef Koller, Paula Walden, Sándor Rott, Géza Steinhardt, Risa Bastée sowie Hans Moser oder Armin Berg; und auch wechselnde Auftrittsorte – bis sie 1913 ihr eigenes Theater mit rund 560 Plätzen in der Praterstraße 25 bezogen.
Davor spielten sie zwischen 1889 und 1891 fast jeden Abend in einem anderen Etablissement, danach fix im Hotel Schwarzer Adler, welches 1896 abgerissen wurde. Die „Budapester“ übersiedelten in den Theatersaal des Hotels Stephanie, ebenfalls in der Taborstraße (Nr. 12) gelegen. 1903 zog man ins nahe gelegene Hotel Central, dessen Theatersaal 540 Plätze bot. Nach wie vor konnte das sich „aus den besten Kreisen“ rekrutierende Publikum während der Vorstellung an gedeckten Tischen Speis und Trank genießen.
Tourneen führten das Ensemble ebenso nach Deutschland, Brünn oder Breslau und auch die sommerlichen Gastspiele, v.a. im Prater, waren erfolgreich.
Die „Budapester“ waren äußerst populär, nicht zuletzt wegen Heinrich Eisenbach und anderer Stars sowie wegen der mehr als erfolgreichen Jargonposse „Eine Partie Klabrias im Café Spitzer“ oder kurz: „Die Klabriaspartie“ von Adolf Bergmann, die im November 1890 das erste Mal gespielt und bis zum Ende der Truppe mehrere tausend Mal zur Aufführung kam. Auch in Budapest und Berlin erfreute sich „Die Klabriaspartie“ großer Beliebtheit. Nur Autor Bergmann, der auch als Coupletsänger und Darsteller fungierte, hatte wenig von diesem Erfolg; er hatte alle Rechte für alle Aufführungen in allen Ländern und für alle Zeiten an diesem Stück der Direktion der „Budapester Orpheumgesellschaft“ für fünf Gulden abgetreten; und Tantiemen gab es zur damaligen Zeit noch nicht.
Nachdem Josef Modl die „Budapester“ bald verlassen hatte, wurde Ferdinand Grünecker 1890 als Darsteller, Regisseur und künstlerischer Leiter engagiert. Als dieser 1894 mit seiner Frau, der Sängerin und Tänzerin Marietta Jolly, nach Berlin ging, wurde Heinrich Eisenbach verpflichtet, der zwanzig Jahre lang die Bühne mit seiner Jargonkomik prägte. Er wirkte als Tänzer, Sänger oder Darsteller in Possen, Sketches sowie in Soloszenen, die ihm die Haupt- und Hausautoren – Louis Taufstein, Josef Armin, Adolf Glinger und Otto Taussig – auf den Leib schrieben.
Im August 1914 trennten sich die Wege von Eisenbach und dem „Budapester Orpheum“, da die Direktion massive Kriegspropaganda betrieb, die Eisenbach nicht mitverantworten wollte. Er zog mit einem Großteil des Ensembles aus und gründete eine eigene Truppe.
Nach diesem Bruch begannen die „Budapester“ im Oktober 1914 mit einem neuen Ensemble, dessen Hauptdarsteller, Regisseur und Autor nun Alexander Trebitsch war. Bis 1916 versuchten sie ihrer Tradition als Jargonbühne treu zu bleiben, danach wurde hauptsächlich Operette gespielt. Viele Robert Stolz-Werke, deren Erstaufführung der Komponist meist leitete, wurden gebracht. Mit Kriegsende kehrte man wieder zum bunt gemischten Programm zurück, brachte vermehrt Possen und (pikante) Solovorträge; auch vom jungen Karl Farkas wurde ein musikalischer Schwank aufgeführt.
Im Mai 1919 gab es dann die letzte „Klabriaspartie“ und noch einmal spielte man im sommerlichen Prater – bis 17. Juni 1919. Ohne größere Ankündigung beendete die Truppe danach ihr Wirken. – In den Räumen der „Budapester Orpheumgesellschaft“ in der Praterstraße 25 eröffnete am 8. August die „Rolandbühne“.
Quellen:
Georg Wacks, Die Budapester Orpheumgesellschaft. Ein Varieté in Wien 1889–1919. Vorwort: Gerhard Bronner. Wien 2002
Simon Usaty, „Ich glaub’ ich bin nicht ganz normal“. Das Leben von Armin Berg. Wien 2009, 13–34
Hans Veigl, Lachen im Keller. Kabarett und Kleinkunst in Wien 1900 bis 1945 (= Kulturgeschichte des österreichischen Kabaretts, Bd 1). Österr. Kabarettarchiv, Graz 2013, 39–51
Christopher Langer: Das Jüdische an der Budapester Orpheumgesellschaft. Graz, Univ., Diplomarbeit 2014
Autor/innen:
Iris Fink
Letzte inhaltliche Änderung:
06.07.2023