Sepp Tatzel
* 22. August 1925 in Wien, † 28. März 2019 in Wien
Schriftsteller, Kabarettautor
Josef Tatzel wurde in eine bürgerlich-konservative Familie hinein geboren. Er wuchs bei seiner alleinerziehenden Mutter in Wien auf und besuchte in den Sommerferien seinen Vater in Budapest. Sepp Tatzel – er selbst nannte sich nur so – pflegte seit seiner frühesten Jugend einen Hang zum Theater. Mit acht Jahren (1933/34) spielte er als Kinderdarsteller im nächst seiner Wohnstätte gelegenen Raimundtheater, danach an verschiedenen Laienbühnen.
Nach dem humanistischen Gymnasium und der (Kriegs-)Matura absolvierte er ein Studium an der Wiener Lehrerbildungsanstalt. Außerdem arbeitete er 1942 als Betreuer der Wiener Sängerknaben und begleitete diese auf Konzerttourneen, bevor er im August 1943 in die deutsche Wehrmacht einberufen wurde. Die Bestellung auf einen Volksschullehrer-Posten in das besetzte Generalgouvernement nach Kutno in Polen blieb somit theoretischer Natur, Tatzel trat diese Stelle nie an.
Nach Ausbildungen in Olmütz, Mistelbach, Znaim und Nikolsburg musste Tatzel erst im Dezember 1944 an die Westfront. Gegen Kriegsende erlebte er die Eroberung der Ludendorff-Brücke durch US-Truppen bei Remagen. Tatzel sah viele Freunde und Wegbegleiter sterben, überlebte selbst durch glückliche Umstände und kehrte am 19. März 1945 nach Wien zurück. Das Kriegsende verbrachte er schließlich in Bad Mitterndorf. Aufgrund seiner Mitgliedschaft in der HJ und NSDAP durfte Tatzel trotz erneuter Abschlussprüfung aufgrund des Verbotsgesetzes allerdings nicht als Lehrer arbeiten, auch das Studium blieb ihm vorläufig verwehrt.
Er verdiente sich sein Geld vorerst über Nachhilfetätigkeiten und stieg schließlich über eine befreundete Familie in den Juwelen-, Gold- und Silberhandel ein. Ab 1949 durfte Tatzel berufsbegleitend studieren und inskribierte an der Universität Wien Germanistik und Anglistik. 1953 reichte er seine Dissertation über den deutschen Dramatiker und Kabarettdichter Klabund (Alfred Henschke) ein, den Tatzel lebenslang verehrte. Trotz der angebotenen Möglichkeit, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, blieb er bis 1975 im Handel tätig. Dann liquidierte er seine mittlerweile eigene Firma und wurde hauptberuflich freier Schriftsteller.
Tatzel schrieb von nun an vor allem Texte für Kabarett, Fernsehen und Theater. Von 1974 bis 1988 war er einer der Hauptautoren des Wiener Kabaretts „Simpl“ in der Ära Martin Flossmann. Zuvor verfasste er bereits Kabarettexte für Flossmanns „Der Bunte Wagen“. Danach schrieb er weiterhin für verschiedene Kabarettproduktionen, beispielsweise „Klassefrauen – Klasse Frauen?“ (1991, mit Joe Harriet), „Die gemeinsame Schüssel“ (1992, mit u.a. Joe Harriet, Dieter Moor) und „Die Geburt der Komödie“ (1993, mit Monika Tajmar und Bela Zak).
Ein langjähriger Arbeitgeber Tatzels war das ORF-Radio: Diverse Drehbücher, Sendungsmanuskripte und Sendereihen entstanden in dieser Kooperation, unter anderem die Sonntagfrüh-Satire-Reihen „Aufguß, bitte!“ und „Streng vertraulich“ sowie „Die Niederösterreichische Radiofamilie“ (für das Landesstudio Niederösterreich) – alle in Zusammenarbeit mit Peter Orthofer und anderen – sowie (ebenfalls für Radio NÖ) das Prominenten-Quiz „Turnier auf der Schallaburg“ oder „Wendelin Grübel“ (mit Hans Peter Heinzl u.a.).
Weitere Film- und Fernsehprojekte abseits davon waren der Reisefilm „Easy Radler“ mit Karl Merkatz (1980), für den Tatzel das Buch schrieb oder auch die Showsendung „Stars in der Manege“ des Bayrischen Rundfunks (1994), bei der er die Moderationstexte für Klaus Maria Brandauer verfasste sowie die ORF-Musik-Sendung „Vorhang auf“ – Musikplaudereien mit Christian Boesch (1979/1980), in welcher er für die Drehbücher verantwortlich zeichnete.
Im Theater feierte die Tatzel-Fassung des Nestroy-Stücks „Lady und Schneider“ 1978 im Schauspielhaus Graz Premiere, sein erfolgreichstes Bühnenstück gastierte anschließend bei den Wiener Festwochen und mittels Fernsehausstrahlung im ORF.
Abseits des ORF schrieb er eine große Anzahl an Unterhaltungsprogrammen, sei es für einzelne Veranstaltungen, bei denen namhafte Künstlerinnen und Künstler (Christine Jirku, Kurt Weinzierl u.a.) seine Texte vortrugen, oder Revuen, wie jene für das Pratertheater im Lokal „Beim Eisernen Mann“ (1989/1990). In den 1980er- und 1990er Jahren schrieb Tatzel außerdem mehrere Zauber-Kabarettprogramme für den Zauberkünstler Magic Christian, dazu auch Musicals („Der Rattenfänger“, 1985) und musikalische Komödien („Die Drei von der Tankstelle“, 1996 – das Stück wurde an mehreren Theatern in Deutschland gespielt). Für die Operettenkonzerte in Baden schrieb er von 1996 bis 1999 die Zwischentexte.
Des Weiteren gehörten Übersetzungen englischer Original-Texte für Theater-Produktionen zum Œuvre Tatzels. Und auch Klabund bearbeitete Tatzel bei sich bietender Gelegenheit immer wieder, beispielsweise 1996 mit dem Stück „Heiter hüstelnd bis fröhlich fröstelnd“ – gesungen, gespielt und gelesen von Edith Leyrer, einer langjährigen Weggefährtin.
Im höheren Alter verlegte sich Tatzel auf das Verfassen von Büchern: Seine Publikationsliste umfasst „Wien stirbt anders“ (2002; 1992 hatte er ein gleichnamiges Bühnenprogramm für Walter Schreiber verfasst), „Ich war ein toller Hund. Gesellschaftliche Seitenblicke des Dackels Franz, erzählt von ihm selbst“ (2003), „Von Österreich über die Ostmark nach Österreich. Die Zeitreise einer verlorenen Generation“ (2008), „Simple Erinnerungen. Ein sehr persönlicher Beitrag zum Wiener Kabarett“ (2012), „Die Astrologie“ (2017) – in dem er einer langjährigen Leidenschaft huldigte – oder das Manuskript: „Wer sein schon gewesen diese Nibelungen – der jiddische Wagner“ (2015; mit dieser humoristischen Nachdichtung trat Sepp Tatzel auch persönlich auf; musikalisch begleitet wurde er von Elisabeth Eschwé).
2005 wurde Tatzel mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien geehrt.
Sepp Tatzel starb, ein halbes Jahr vor seinem 94. Geburtstag, am 28. März 2019 in Wien, wo er zeit seines Lebens in Mariahilf gewohnt hatte.
Quellen:
Österreichisches Kabarettarchiv: Nachlass Sepp Tatzel.
„Von Österreich über die Ostmark nach Österreich“ – Die Zeitreise einer verlorenen
Generation [2008] [Autobiografie mit viel österreichischer Geschichte.] Manuskript, ÖKA, Nachlass Sepp Tatzel.
Sepp Tatzel: Eine Wahl mit viel Risiko, in: Der Standard, 28.9.2013 und online im Internet: Eine Wahl mit viel Risiko - Kommentare der anderen - derStandard.at › Diskurs [abgerufen am 16.05.2023].
Karin Simonitsch (Marien Apotheke Wien): Wir trauern um Dr. Sepp Tatzel, online im Internet: Wir trauern um Dr. Sepp Tatzel - Marien Apotheke 1060 Wien [abgerufen am 16.05.2023].
Autor/innen:
Roland Knie (17.12.2021); Ergänzung und Erweiterung: Thomas Stoppacher (30.05.2023)
Letzte inhaltliche Änderung:
30.05.2023