Foto: Vorlass Roter Gamsbart; Österreichisches Kabarettarchiv

Roter Gamsbart

Polit-Musikkabarett, Graz, 1976–1988

 

Der Rote Gamsbart wurde 1976 von ehemaligen Mitgliedern des 2. Grazer Straßentheaters, unter ihnen Ernst Kret, Klaus Eberhartinger und Gert Wagner sowie von Wini Hofer, Kurt Reichenauer und Max Korp gegründet. Die drei letzteren hatten sich in der Kommunistischen Jugend davor schon als Polit-Agit-Gruppe versucht.

Es gab kein fixes Ensemble, sondern es handelte sich um eine Gruppe mit mindestens fünfzehn Frauen und Männern, die zeitweise – bei den Auftritten oder bei den Planungen im Hintergrund – aktiv waren. Die meisten Mitglieder waren zu dieser Zeit Studierende der Psychologie.

Der Name Roter Gamsbart sollte die Verbindung bodenständiger Volkskultur mit einer klaren politischen Haltung symbolisieren. Inhaltliche Schwerpunkte der Programme waren Heimat und Antifaschismus, Arbeit und Arbeitswelt sowie Frieden und Solidarität. Man wollte außerdem dem grassierenden Antikommunismus entgegentreten. Geschrieben wurden die Texte von Hofer, Kret und Franz Stephan Parteder – für die Musik war hauptsächlich Kret verantwortlich.
Die Protagonist*innen beschrieben ihr Ensemble selbst als Polit-Musik-Kabarett und die Dramaturgie bei Auftritten gestaltete sich meist als alternierende Abfolge eines in die Thematik einführenden Liedes und einer darauf folgenden Kabarettszene. Kritik wurde dabei sowohl an der dominanten Kreisky-SPÖ wie auch am „Klassenfeind“ ÖVP und der rechten FPÖ geübt.

Der erste Auftritt fand im Rahmen der von Ernst Kaltenegger initiierten „Roten Jugendwochen“ im damaligen Haus der Jugend (heute: Orpheum) statt. Nachdem man beim Publikum großen Anklang fand, folgten schnell Auftritte in der ganzen Steiermark, aber auch in Nieder- und Oberösterreich, Kärnten, Burgenland und Wien. Man spielte ein klassisches Nummernprogramm, das ständig adaptiert und erneuert wurde. Dieses hatte aber keinen offiziellen Titel und man trat bei Veranstaltungen einfach unter „Roter Gamsbart“ auf. Als bestimmende Person in der inhaltlichen Ausrichtung wie auch der Organisation kristallisierte sich Ernst Kret, der neben seiner Passion als Liedermacher später auch ein bekannter Pädagoge wurde, heraus.

1978 flog die Gruppe als offizieller österreichischer Kulturbeitrag zu den XI. Weltfestspielen der Jugend und Studenten nach Kuba, wo sie im Rahmen des Festivalprogramms mehrmals auftraten. Diese Reise, die Möglichkeit vor großem Publikum sein Œuvre zu präsentieren und der dortige Austausch mit internationalen Liedermachern, war der bisherige Höhepunkt für das Rote Gamsbart-Ensemble. Im selben Jahr nahm man am 1. Hanns Eisler-Treffen politischer Liedermacher in Wien teil, für die im Anschluss an diese Veranstaltung herausgegebene Platte „Neue Lieder für Österreich“ steuerte man den Song „Der Schlackenführer Becher Hans“, geschrieben von Heinz Pfingstl, bei.

Nach diesem ereignisreichen Jahr verließen mehrere Mitglieder die Gruppe, da sie ihr Studium beendet hatten und andere Lebenswege einschlugen. Doch schon 1979 folgte beim Pfingsttreffen der KPÖ-nahen Kinder- und Elternorganisation Kinderland ein Neustart der Kabarettgruppe.
Die prägenden Mitglieder dieser zweiten Ära waren Wini Hofer, Helga Kollant, Kurt Reichenauer, Max Korp, Max Kornberger und die für die Musik hauptverantwortliche Ulli Candler.

Man spielte nun einerseits bei zahlreichen Kinderland-Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche – wobei auch hier politisch-gesellschaftskritische Szenen und Lieder im Mittelpunkt standen – und andererseits politische Musik-Kabarett-Programme für Erwachsene. Fixpunkte waren über viele Jahre Auftritte bei Veranstaltungen am Nationalfeiertag, die von Kinderland und KPÖ, aber auch KJÖ und dem Bund demokratischer Frauen organisiert wurden. Starkes Engagement zeigte man auch in der Anfang der 1980er-Jahre aktiven Friedensbewegung – so spielte die Gruppe unter anderem auch am 6. November 1982 beim großen „Künstler für den Frieden“-Konzert in der Wiener Stadthalle.

Die nun jährlich neu geschriebenen Programme hatten jeweils inhaltliche Schwerpunkte: 1980 setzte sich „Wurlitzer“ kritisch mit der damaligen Kreisky-Alleinregierung auseinander; 1981 wurde mit dem Titel „Das Neutronenmuseum“ die Geschichte Österreichs nach dem Abwurf einer Neutronenbombe dargestellt. Im Jahr darauf ging es in „Grüße aus St. Eiermark“ um Politik und Gesellschaft im heimatlichen Bundesland. Und 1983 diente der Österreich-Besuch von Papst Johannes Paul II. als Aufhänger für „Das Sch(w)einheilige Jahr“.
Die Liedtexte des Roten Gamsbart behandelten oftmals zeitgeschichtliche Personen oder Ereignisse („Der Wallisch“, „Die roten Matrosen von Cattaro“), thematisierten aber durchaus auch Alltagsprobleme der Menschen („Arbeitslos“, „Die Ware Wohnung“, „Wieviel Bildung für wie viele?“). Neben selbst geschriebenen Songs gehörten auch klassische Arbeiterlieder („Die Moorsoldaten“, „Bella ciao“) zum Repertoire der Gruppe.

In den folgenden Jahren blieb aufgrund beruflicher und privater Entwicklungen der Protagonist*innen immer weniger Zeit – und so lief die Ära des Roten Gamsbart langsam aus und man trat nur mehr bei ausgewählten Terminen, beispielsweise bei der Wanderung zum Persmanhof in Kärnten/Koroska, einer jährlichen Veranstaltung, die man selbst ins Leben gerufen hatte, auf. Der letzte dokumentierte Auftritt fand am 8. März 1985 anlässlich des Internationalen Frauentags in St. Pölten statt, bis 1988 sang und spielte die Gruppe allerdings noch in kleinem Kreise.

Die Akteure des Roten Gamsbart betrieben Kabarett und Musik aus idealistischer Überzeugung und Leidenschaft – die Gagen beschränkten sich meist auf Kost und Logis. Die Gruppe nahm sich auch keine Anleihen am politischen Kabarett der österreichischen Zwischenkriegszeit – am ehesten ist noch der prägende Einfluss ostdeutscher Singegruppen auf einige Mitglieder zu nennen. Wichtig für sie waren auch Jura Soyfer und Richard Zach, die beide Opfer ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus geworden waren.

 

Quellen:

Österreichisches Kabarettarchiv, Vorlass Roter Gamsbart.

Interview mit Max Korp, geführt von Thomas Stoppacher, Volkshaus Graz, 12. April 2021.

Max Korp, Der Rote Gamsbart. Polit-Musik-Kabarett aus Graz, in: Alfred Klahr Gesellschaft. Mitteilungen, 26. Jg. / Nr. 3, September 2019, 13-14.

Max Korp, 50 Jahre Kinderland Steiermark (1996), aufgemöbelt 2010. Online im Internet: 50_jahre_kinderland_stmk_1996_scr.pdf (kpoe-steiermark.at) [aufgerufen am 22.09.2021].

Franz Kirnbauer (Hg.), Heribert Hahn (Mitarb.), Kabarett in Österreich: 1906 bis 1966. Graz – Wien, Graz 1999, Tafel 19.

SRA – Archiv Österreichischer Popularmusik, Neue Lieder für Österreich, Online im Internet: SRA - Tonträger-Details: Neue Lieder für Österreich [aufgerufen am 22.09.2021].

Autor/innen:

Thomas Stoppacher

Letzte inhaltliche Änderung:

21.10.2021

 

Vorlass Roter Gamsbart im ÖKA