Foto: Die Bühne, 1929, Heft 252, S. 9. Quelle: ANNO/Österreichische Nationalbibliothek
Josma Selim
(Hedwig Josma Fischer)
* 5. Juni 1884 in Wien; † 25. August 1929 in Berlin
Sängerin, Diseuse, Kabarettkünstlerin
Hedwig Fischer wird am 5. Juni 1884 in Wien geboren. Nach ihrer Gesangsausbildung wendet sich Josma Selim, so ihr Künstlername, dem Kabarett zu. Von 1909 bis 1912 tritt sie in der „Hölle“ auf, danach (schon bei der Eröffnungsvorstellung im Oktober 1912) im „Simpl“. Ihr charmanter Vortrag und ihre schöne Stimme verhelfen ihr schnell zu großer Bekanntheit.
Im Frühjahr 1914 lernt Selim Ralph Benatzky kennen und am 15. November desselben Jahres heiraten die beiden. In den folgenden Jahren ist das Duo mit gemeinsamen Werken erfolgreich. Er schreibt, komponiert und begleitet am Klavier, sie singt. Und Selim sagt, charmant mit der Hand auf Benatzky weisend, an: „Musik und Worte wie bei allen meinen Liedern von Doktor Ralph Benatzky. Am Flügel der Komponist.“ – Der sehr junge Hugo Wiener ist vom Paar Selim/Benatzky und vor allem von Josma Selims Ansage so fasziniert, dass er sich eine Partnerin, eine Interpretin wünscht, die in dieser Art auf ihn weist, wie er in seinen Erinnerungen (Zeitensprünge, 31) festhält.
Mit dieser Kombination aus musikalischer und privater Partnerschaft zwischen Interpretin und Komponist reihen sich Selim/Benatzky in eine Riege mit beispielsweise Mella Mars/Béla Laszky oder Franzi Ressel/Robert Stolz ein.
Der Vortragsstil der beiden steht in der Tradition der Münchner und Wiener Kabaretts, wird aber durch neue und originelle Nuancen bereichert. Über 500 Chansons und Schlager entstehen auf diese Weise und werden auf in- und ausländischen Kabarettbühnen aufgeführt. Vor allem natürlich in Wien, wo auch der Stadt gewidmete Lieder wie „Ich muss wieder einmal in Grinzing sein“ erstmals von Selim interpretiert (1914) werden.
Während des Ersten Weltkriegs treten die beiden auch in Konzerten des „Roten Kreuzes“ vor Verwundeten in Lazaretten auf. Nach Kriegsende startet die erfolgreichste Ära des Paares. Ende Februar 1919 kommt das „Josma Selim-Ralph Benatzky-Album“ heraus.
Die „Alt-Wiener Guckkasten-Bilder“ (1920), „Ballades d’amour“ (1921), „Eine Teestunde bei Ralph Benatzky und Josma Selim. Zehn ausgewählte Chansons mit Conférencen“ (1924) und die „Alt-Wiener Dosenstücke“ (1928) dokumentieren diese Ära. Das 1923 veröffentlichte Lied „Ghetto“, zuvor „mit außerordentlichem Erfolge“ (so die herausgebende Edition Bristol) im großen Konzerthaussaal und im „Simpl“ vorgetragen, ist eines der bekanntesten Glanzlichter aus dieser Zeit.
Das Duo Benatzky/Selim erlangt europaweite Bekanntheit. Ihre Konzerte führen die beiden in viele deutsche Städte, nach Amsterdam oder London, in die Schweiz und nach Italien. 1921 gastieren sie mit großem Erfolg an Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin – die Stadt wird neben Wien zur zweiten künstlerischen Heimat des Paares. 1927 verlegen Selim und Benatzky auch ihren Wohnsitz von Wien nach Berlin-Lichterfelde. Die Berliner schätzen an Selim die „wienerische Note“ und ihren feinsinnigen musikalischen Vortragsstil, sie gilt mittlerweile als bedeutendste Diseuse im deutschen Sprachraum.
Auch Benatzky schreibt in seinen regelmäßigen Tagebuch-Einträgen wiederholt Lobeshymnen auf Josma – sie sei in Gesang und Darstellung „noch nie so reif und einzig wie jetzt“ und „unbedingt auf Jahrzehnte hinaus unerreichbar“ (1920) und das größte Vortragstemperament der letzten Jahrzehnte (1924). Selim beherrscht nicht nur ihre gut sitzende Sopranstimme, sondern auch einen flinken Operettenstil und zwischendurch auch „glockenrein hingesetzte“ Spitzentöne. Der oftmalig eingesetzte Wechsel zwischen Sing- und Sprechhaltung trägt zu ihrem unverkennbaren Stil bei. In Rezensionen wird sie mit der berühmten französischen Chansonière Yvette Guilbert verglichen.
Selim agiert neben ihren Auftritten als Sängerin zwischendurch auch als Schauspielerin. So ist sie u.a. in der Fritz Grünbaum-Revue „Radiorummel auf Welle 351“ (1926) oder im Film „Casanova“ (1928) zu sehen.
Selim ist allerdings zunehmend krank und hat Probleme mit ihrem Stimmband, welches nach einer ersten Blutung 1924 regelmäßig Probleme macht. 1928 erleidet sie auf offener Bühne einen Stimmbandkollaps. Im Dezember des Jahres erfolgt der letzte gemeinsame Auftritt von Selim und Benatzky in Wien. Auch privat gibt es Risse in der von Anfang an turbulent geführten Beziehung, Eifersuchtsszenen gehören zur Tagesordnung.
Am 25. August 1929 verstirbt Josma Selim, nachdem sie vier Tage zuvor mit einer Freundin am Wannsee eine Bootsfahrt unternommen hatte und am Abend leicht erkältet ins Bett ging. In den folgenden Tagen verschlechtert sich ihr Zustand rapide und führt zum Tod. In der Presse wird über eine Lungenentzündung, aber auch über die Folgen einer Diätkur in Karlsbad spekuliert.
Im Nachruf der österreichischen Theaterzeitschrift „Die Bühne“ (1929, Heft 252) wird sie noch einmal treffend gewürdigt: „Josma Selim stellte den Typus einer Kabarettière dar, wie es ihn momentan gar nicht mehr gibt. Man kann sie als letzte große Erscheinung eines verschwundenen Kunstgenres bezeichnen, man darf aber auch ruhig behaupten, daß sie eine Persönlichkeit war, die ihr eigenes Genre schuf. Dr. Ralph Benatzky, der die kleinen Lieder, die gesungenen Revuen für sie komponierte, ergänzte sie wie selten ein Künstler seine Interpretin. Was er komponierte, schien allein nur für Josma Selim gedacht und gefühlt. Immer blieb der Eindruck, keine andere Frau könne diese zarten Kunstwerke mit solcher Wirkung bringen.“
Quellen
Monika Kornberger: „Einmal sang die Liebe uns ein Lied“. Deutscher Schlager der Zwischenkriegszeit und seine Protagonisten in Wien, Dissertation, Graz 2018.
Fritz Hennenberg: Es muß was Wunderbares sein … - Ralph Benatzky. Zwischem „Weißem Rößl“ und Hollywood, Wien 1998.
Inge Jens, Christiane Niklew: Ralph Benatzky. Triumph und Tristesse. Aus den Tagebüchern von 1919 bis 1946, Berlin 2002.
Wikipedia – die freie Enzyklopädie: Josma Selim, in: https://de.wikipedia.org/wiki/Josma_Selim (abgerufen am 12.09.2023).
Österreichisches Biographisches Lexikon: Selim, Josma, in: https://apis.acdh.oeaw.ac.at/person/35588 (abgerufen am 20.09.2023).
Alexander Rausch: Selim (verh. Benatzky), Josma (eig. Hedwig Josma Fischer), in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits, https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_S/Selim_Josma.xml, (abgerufen am 21.09.2023).
Thomas Staedeli: Josma Selim, in: https://www.cyranos.ch/smseli-d.htm (abgerufen am 21.09.2023).
Hugo Wiener: Zeitensprünge. Erinnerungen eines alten Jünglings, Wien-München 1991.
Autor/innen:
Thomas Stoppacher
Letzte inhaltliche Änderung:
08.11.2023