Foto: 1924, © Archiv Liesl Müller-Johnson

Rosl Berndt

(Rosa Dunkelblau)

* 25. September 1903 in Wien, † 3. Jänner 1996 in Haslemere (Surrey, GB)

Chansonnière und Kinderstar

 

Rosl Berndt wuchs im Karmeliterviertel im zweiten Wiener Gemeindebezirk in der Obhut ihrer Mutter Bronja Dunkelblau auf. Diese hatte sich um 1890 aus Galizien nach Wien durchgeschlagen und bekleidete eine Hausmeisterstelle in der Weintraubengasse. Ihr Vater Eduard Slovik, Katholik ukrainischer Abstammung, war 1905 wegen seiner Spielschulden nach Amerika geflohen.

Das Mädchen besuchte die Ballettschule Singer und zeigte musikalisches Talent, so dass die Wohnungsnachbarn Theodor Wottitz und Peter Herz auf sie aufmerksam wurden und sie ans nahe gelegene Carltheater empfahlen. Dort debütierte sie im Dezember 1914 in der Kinderrolle der Suza in Lehárs „Der Rastelbinder“, an der Seite von Karl Blasel und Helene von Milówska.
Während des Ersten Weltkriegs wurde sie als „die kleine Rosa“ in der gesamten Donaumonarchie gefeiert. Zwischen 1916 und 1918 war sie unter anderem im Prater-Etablissement Leicht, am Bierkabarett Simplicissimus (Simpl), am Ronacher und am Raimundtheater engagiert.

Der Künstlername Rosl Berndt geht auf ihren ersten Ehemann Karl Müller zurück, mit dem sie von 1921 bis 1925 verheiratet war – vermutlich eine Art Marketing-Idee, in Anspielung auf Gerhart Hauptmanns Drama „Rose Bernd“, das 1919 als Stummfilm populär geworden war. Der Verbindung mit Karl Müller, der 1924 vorübergehend Eigentümer des Simpl war, entstammte die Tochter Liesl.
Und vom „Simpl“ aus startete Rosl Berndt ihre zweite Karriere in der Zwischenkriegszeit. Sie war Bühnenpartnerin von Hermann Leopoldi, Franz Engel, Armin Berg, Karl Farkas und Hans Moser, trat mit Opernstars wie Alfred Jerger und Richard Tauber sowie mit Schauspielern wie Harald Paulsen und Oskar Karlweis auf. Ralph Benatzky und Ralph Erwin schrieben Lieder für sie, Fritz Löhner-Beda, Fritz Grünbaum, Peter Herz und Ida Sinek lieferten maßgeschneiderte Texte. Außerhalb Wiens war sie unter anderem am Tuschinski Theater in Amsterdam, am Neuen Operettentheater Frankfurt/Main und am Kabarett Anast in München tätig.

Rosl Berndt war Protagonistin in österreichischen Erstaufführungen berühmter Operetten und Komödien, vor allem von Ralph Benatzky, beispielsweise in „Meine Schwester und ich“ (25.12.1930, Theater „Die Komödie“) und „Die drei Musketiere“ (16.10.1931, Theater an der Wien). Ihr letzter großer Erfolg war die Revue „Wir senden Liebe“, in der sie bis 1936 gemeinsam mit Fritz Grünbaum, Franz Engel und Willy Stettner im Moulin Rouge auf der Bühne stand.

Im Mai 1936 übersiedelte Rosl Berndt von Wien nach Bukarest, um den rumänischen Ölmagnaten Dinu Buhlea zu heiraten. Sie mag gedacht haben, dass sie als Halbjüdin auf diese Weise zugleich dem Nazi-Regime entkommen könnte, das sie zutiefst verachtete. Bukarest war in den 1930er Jahren eine elegante Metropole, das „Paris des Ostens“, mit einem reichen Kultur- und Geistesleben, an dem sie dank der weitreichenden gesellschaftlichen Verbindungen ihres Mannes regen Anteil nehmen konnte. Doch de facto bedeutete diese Entscheidung das Ende ihrer Laufbahn. Denn als auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 die Teilung Europas beschlossen wurde, verschwand Rumänien hinter dem Eisernen Vorhang. Rosl Berndt musste noch 15 Jahre lang im nunmehr zum Ostblock gehörenden Rumänien ausharren. Erst 1960 gelang ihr die Ausreise nach England, dank der tatkräftigen Unterstützung ihrer Tochter, die dort eine Familie gegründet hatte.

1963 versuchte sie ein Comeback in Wien, ihre Auftritte im Raimundtheater („Champagner-Lily“) und im Simpl blieben jedoch ohne weitere Resonanz.
Bis zu ihrem Tod lebte sie in der Nähe ihrer Familie in Südengland. Ihr Grab befindet sich auf dem historischen Kirchhof in Headley, Hampshire.
 
Die Karriere von Rosl Berndt ist nur spärlich dokumentiert. Der Großteil des Archivmaterials musste bei der fluchtartigen Ausreise nach England in Rumänien verbleiben und ging verloren. So sind auch keine Tonaufnahmen überliefert. An Schallplatten haben sich lediglich vier Schelllacks vom Dezember 1930 erhalten, die sich in Privatbesitz befinden. Sie geben einen Eindruck von der Stimme und der Interpretationskunst eines außergewöhnlichen Naturtalents. Dass ihre Laufbahn rekonstruiert werden kann, ist das Verdienst ihrer 2014 in Wien verstorbenen Tochter. Liesl Müller-Johnson hat die Erinnerungen an ihre Mutter in einem autobiographischen Buch festgehalten und in vielen Gesprächen an die Autorin Monika Mertl weitergegeben. Die Stadt Wien hat zum Andenken an Rosl Berndt einen Platz im Bereich Praterstraße / Weintraubengasse nach ihr benannt.

 

Quellen:

Liesl Müller-Johnson, „Rosl’s Daughter. Cabaret & Childhood in 1920s Vienna”. Book Guild Publishing, Sussex, England, 2011

Liesl Müller-Johnson, „Rosl und ihre Tochter. Leben und Kabarett zwischen 1914 und 1936. Die Autobiografie von Liesl Müller-Johnson, aus dem Englischen neu gefasst und ergänzt von Monika Mertl. Milena Verlag, Wien 2014

Autor/innen:

Monika Mertl

Letzte inhaltliche Änderung:

16.02.2024